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Die Bundesbank hat in ihrem Junibericht in 2007 zur „Vermögensbildung und Finanzierung im Jahr 2006“ die volkswirtschaftliche Ersparnis untersucht.[1] Sie konstatiert im Rahmen des gegenwärtigen Konjunkturaufschwunges eine deutliche Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen, „was in den gesamtwirtschaftlichen Rechenwerken (die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und ihre Finanzierungsrechnung, R.V.) seinen Niederschlag in einem kräftigen Anstieg der „Ersparnisse“ des Unternehmenssektors findet.“[2] Zunächst ist zu erinnern: Ersparnisse in einer Volkswirtschaft enthalten nicht nur die private Ersparnis der Haushalte, sondern eben auch die einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften und, sofern eine positive Differenz zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben besteht, die positive Ersparnisbildung der Gebietskörperschaften. Letzteres wird bekanntlich im Rahmen der Förderalismusreformdiskussion II um Schuldenverbote für die Bundesländer angestrebt. Die deutliche Verbesserung der Ertragslage hat zwar die Investitionsquote von 2,9 auf 3,9 vH (Nettoinvestition in vH des verfügbaren Einkommens) erhöht, blieb aber deutlich unter der Investitionsquote von rd. 10 vH in den 90er Jahren.[3] Die Ersparnis der privaten Haushalte und des Unternehmenssektors fielen allerdings höher aus als die Bildung von Sachkapital und entsprach etwa dem Stand der 90er Jahre. Die Nettoinvestitionen sind dagegen „überraschend“ gering bzw. „wesentlich niedriger“ (Bundesbank) ausgefallen. Die Konsequenz für die Bundesbank lautet folglich: “Dem hohen inländischen Ersparnisüberschuss über die..deutlich gestiegenen, aber immer noch wesentlich niedrigeren Nettoinvestitionen entspricht der positive Leistungsbilanzüberschuss der deutschen Wirtschaft“.[4] Zur Klarstellung dieser Zusammenhänge ist eine Differenzierung nach realwirtschaftlicher und nominaler Betrachtung sinnvoll. Gerade dieser doppelten Betrachtungsweise verdanken wir wichtige makroökonomische Erkenntnisse, die in der Hinwendung zur mikroökonomischen Einseitigkeit und nur angebotsorientierten Sicht verloren gehen.
1. Die saldenmechanische Betrachtung einer Volkswirtschaft Die Ersparnis „am Ende“ einer betrachteten Produktionsperiode verkörpert bei Haushalten eine „nicht-konsumtive“ Verwendung des Einkommens. Bei Unternehmen sind es die einbehaltenen Gewinne, nachdem die Produktion abgeschlossen ist und etwaige Ausschüttungen an Kapitaleigner erfolgt sind.[5]Ein Teil dieser realen Ersparnis von Haushalten und Unternehmen wird vom Unternehmenssektor als Investition nachgefragt. Da lt. Bundesbank aber die Ersparnis über der Investition liegt, handelt es sich bei einem solchen Ersparnisüberschuss um Güter, die bisher nicht im Inland abgesetzt wurden. Nun besteht eine mögliche Verwendung darin, sie der ausländischen Nachfrage güterwirtschaftlich als Exporte zuzuführen (Die andere Möglichkeit, diese Güter vom Staat nachfragen zu lassen, wird später unter 4 behandelt). Aber dies muss auch finanziert werden. Hier hilft die nominale Betrachtung, die in Ersparnissen finanzielle Fonds sieht, die als Kredit den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Ein Ersparnisüberschuss verkörpert dann also ein nicht im Inland vollständig „abgesetztes“ Kreditpotential. Dies wird dem Ausland als Kapitalexport zur Verfügung gestellt werden; unabhängig davon, dass die Motive der nach Zinsanlage strebenden Kapitalexporteure andere sind als die der Warenexporteure.[6]So bestätigt die Bundesbank, dass der Überschuss der Ersparnis über die inländischen Nettoinvestitionen sowohl finanziell als Kapitalexport als auch realwirtschaftlich dem Exportüberschuss entspricht. Diese Zusammenhänge existieren „über den Köpfen der Beteiligten“ und begründen mit dem Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft gleichzeitig ihre Gläubigerposition im Welthandel. Umgekehrt befinden sich beispielsweise die USA mit ihrem Importüberschuss in einer Schuldnerposition gegenüber der deutschen Wirtschaft. Was bedeutet das? Zunächst kompensiert ein Exportüberschuss eine realwirtschaftliche Lücke, die durch die unzureichenden inländischen Investitionen, genauer: durch die unzureichende Umwandlung finanzieller Ersparnisfonds in Sachkapitalbildung entstanden ist. Trotz einer umfangreichen steuerlichen Förderung der Gewinne der Kapitalgesellschaften sowie der steuerlichen Entlastung der hohen Einkommen, die die Ersparnisbildung der Spitzeneinkommen begünstigen, wird damit nicht in gleichem Maße die Sachkapitalbildung angeregt. Eine neoliberale Umverteilungspolitik verlangt daher zwingend (!) eine expansive Außenwirtschaftspolitik. Diese enthält immer zwei Fundamente: Der inländischen Ersparnisüberschuss über die Nettoinvestition verlangt nach freiem internationalen Kapitalverkehr; und die Außenpolitik plädiert für internationalen Freihandel und Abschaffung aller Handelsrestriktionen. Man mag der Expansion der Europäischen Union durchaus Wohlfahrtsgewinne zuschreiben; ihre Erweiterung kann so auch eingeordnet werden als Notwendigkeit, einer neoliberalen „Erweiterung“ der inländischen Ersparnis durch steuerentlastungsbedingte Gewinn- und Spitzeneinkommenssteigerungen weitere reale Anlagesphären zu schaffen. Sofern der Außenhandel als freier Kapital- und Warenverkehr nicht diese Kompensation erreichen kann, verkörpert der Überschuss der Ersparnisse über die Nettoinvestition sowohl unrentierliche Finanzfonds als auch eine Absatzkrise für produzierte Güter. Die Folge wäre wiederum eine „rationale“ Reaktion des volkswirtschaftlichen Gesamtsystems im Kapitalismus: Die Absatzkrise reduziert die Produktion, damit Einkommen und Beschäftigung. Zwar trifft die Krise zunächst die politisch schwächere Klasse der Arbeitenden, aber sofern Besitzeinkommen und daraus abgeleitetes weitere Profiteinkommen ihre Quelle im Mehrwert durch Mehrarbeit haben, werden in der Rezession neben den Lohneinkommen, zunächst noch durch Umverteilung verzögert, auch die anderen Einkommen sinken. Sinken die Quellen der bisherigen Ersparnisse, sinken eben die „Ersparnisse“. Zwar wird dann weniger Kapital- und Warenexport notwendig sein, aber die Volkswirtschaft befindet sich auf dem Niveau tiefer Depression. Umgekehrt gilt: Kapital- und Warenexporte – sie gehören zusammen - sind zwei Seiten einer Variante, sich der Krisenanfälligkeit im Kapitalismus durch Nutzung der außenwirtschaftlichen Expansion zeitweilig zu entziehen. Exkurs I: Ersparnisüberschuss und positiver Außenhandelssaldo Das Sozialprodukt Y als Produktionsergebnis entsteht in der Produktion von Konsumgütern C, in der Produktion von Investitionsgütern I und im Exportüberschuss Exporte – Importe (Exp – Imp).[7] Es gilt: Y = C + I + Exp – Imp. Das Sozialprodukt als Äquivalent für das Volkseinkommen Y wird von den Unternehmer- und Arbeiterhaushalten verwendet für Konsum C und Ersparnis S. Es gilt: Y = C + S Daraus folgt bei Gleichsetzung: Die volkswirtschaftliche Ersparnis entspricht der Nettoinvestitioin und dem Außenhandelssaldo Exp – Imp. S = I + Exp – Imp Da die Bundesbank mit dem Ersparnisüberschuss über die Nettoinvestition den deutschen Leistungsbilanzüberschuss erklärt, soll mit folgendem vereinfachten Zahlenbeispiel dieser Zusammenhang verständlich gemacht werden. S = I + Exp - Imp 300 = 200 + 100 Hier wird deutlich, dass die unternehmerische Sachkapitalbildung von 200 nicht die hohe Ersparnis von 300 kompensiert; der inländischen Nachfrageausfall in Höhe von 100 wird durch die (Netto-)-Auslandsnachfrage ausgeglichen. Die dafür im Ausland notwendige Liquidität wird durch den Kapitalexport von 100 geschaffen. Das Ausland hat sich um 100 verschuldet. Im Folgenden werden staatliche Aktivitäten eingeführt, so dass neben der Verschuldung des Auslandes auch die inländische Staatsverschuldung zu beurteilen ist. 2. Ursachen der Staatsverschuldung Für die Bundesbank erhält die Außenwirtschaft die Aufgabe, inländische überschüssige Produktion und Ersparnisse nachzufragen. Gleiches kann geleistet werden im Inland durch staatliche Aktivitäten, diese Güter und Ersparnisse selbst nachzufragen. Bezüglich der Güter ist an öffentliche Infrastrukturleistungen zu denken. Die Nachfrage nach Ersparnissen zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur erfolgt über die Transformation der Gewinne (und Teile der Spitzeneinkommen) zu steuerpflichtigen Abgaben an den Staat. So werden aus potentiellen hohen Ersparnissen einer Volkswirtschaft (wie gegenwärtig) steigende Steuereinnahmen, die als laufenden Einnahmen u.a. die realen Infrastrukturausgaben finanzieren. Sofern aber Steuerarten abgeschafft (Vermögenssteuer) und/oder Steuersätze gesenkt werden (Absenkung des Spitzensteuersatzes sowie der Körperschaftssteuersätze) und bei unelastischer Reaktion des Steueraufkommens auf Steuersatzsenkungen die staatlichen Steuereinnahmen allenfalls gering steigen, muss zur Finanzierung staatlicher Ausgaben verstärkt auf Kredite zurückgegriffen werden Ursache dieser Staatsverschuldung sind hier nicht die gestiegenen Staatsausgaben, sondern das unzureichende Steueraufkommen. Eine weitere mögliche Ursache der gewachsenen Staatsverschuldung wären beschleunigte Staatsausgaben. Das Zutreffende kann für Deutschland geklärt werden. Abgesehen vom Einmaleffekt der deutschen Wiedervereinigung, der die Schuldenquote (Gesamtschulden zu BIP) von 43 vH in 1990 auf 59 vH in 1966 anhob, muss das Ausgabeverhalten sowohl des Bundes als auch der Länder überprüft werden. Aber sowohl die Ausgabenentwicklung als auch die Entwicklung der Staatsquote Deutschlands belegen eher ein im europäischen Vergleich unterdurchschnittliches Ausgabeverhalten: “Durch die sehr zurückhaltende Ausgabenpolitik kam es in Deutschland zu einem ausgeprägten Rückgang der Staatsquote“[8]. Und: „Im internationalen Vergleich liegt der …Anstieg der öffentlichen Ausgaben in Deutschland weit unter dem Durchschnitt.“[9] „Im Jahr 2007 weisen nur noch drei EU-Länder eine niedrigere Staatsquote als Deutschland auf.“[10]Entscheidend zur Erklärung der wachsenden Staatsverschuldung ist die im Vergleich zum Wachstum des BIP unterdurchschnittliche staatliche Steuereinnahmeentwicklung von -0,2 vH(!) für die Jahre 2000-2005 bei einem nominalen Wachstum des BIP von durchschnittlich 1,7 vH. [11] Die verschiedenen steuerpolitischen Entlastungen für die Unternehmen waren dafür verantwortlich, dass ein vergleichsweise geringes nominales Wachstum des BIP sich nicht ausreichend ergiebig in der Steuereinnahmeentwicklung niederschlug. Diese Abkoppelung der Steuereinnahmen von der ökonomischen Entwicklung hat zwei Konsequenzen: Entweder muss die Kreditaufnahme erhöht werden, oder aber die Entwicklung der Staatsausgaben wird an die niedrigen Steuereinnahmen geknüpft. Die verbreitet populäre Forderung nach Abbau der Verschuldung muss also sorgsam reflektiert werden; denn die entscheidende Ursache der Staatsverschuldung ist der politisch gewollte Verzicht auf mögliche Steuereinnahmen. Wird dies nicht bedacht, ist jegliche Unterstützung des Abbaus bzw. Vermeidung von Staatsverschuldung wie eine nachträgliche Rechtfertigung der Steuersenkung zugunsten von Besserverdienenden und Kapitalgesellschaften zu verstehen. Diese unredliche Argumentation hat in einem anderen Zusammenhang schon einmal funktioniert. Exkurs II: Demontage „keynesianischer“ Politik durch Staatsverschuldung In der Geschichte der Bundesrepublik ist bereits sehr früh die Staatsverschuldung instrumentiert worden zur Abwendung von keynesianischer Politik. In den Jahren 1974-1979, in denen noch mehrfach „keynesianische“ Beschäftigungsprogramme aufgelegt wurden, ist gleichzeitig eine Politik der Haushaltskonsolidierung („Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur“) betrieben worden.[12]Diese ließ in ihren kontraktiven Wirkungen über unzureichendes Wachstum die von den Konjunkturprogrammen erwarteten Steuereinnahmen geringer ausfallen. Ein negativer Finanzsaldo wegen des bewussten „deficit spending“ konnte somit nicht ausgeglichen werden und führte zu jener Kombination aus „aktiver Beschäftigungspolitik“ und „wachsender Staatsverschuldung“, die bis in die Gegenwart für eine Ablehnung jeglicher staatlicher Krisenbekämpfung herhalten muss, da sie angeblich doch nur zu wachsender Staatsverschuldung führe.[13] So gilt festzuhalten: Weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart war eine mangelnde Ausgabendisziplin Ursache der Staatsverschuldung, sondern immer die unzureichende Entwicklung der Staatseinnahmen. Letztere entsteht entweder bei Ausgabensteigerungen, die mit einer gleichzeitigen „Sparpolitik“ kombiniert sind, oder durch eine Steuerentlastungspolitik, wie sie gegenwärtig betrieben wurde. Auch die aktuelle Entwicklung (2006/2007) widerspricht diesen Erfahrungen nicht, sondern bestätigt, dass auch eine dynamische Konjunktur öff. Haushalte konsolidieren kann, sofern das konjunkturbedingte Steueraufkommen nicht durch Absenkungen/Abschaffungen von Steuersätzen beschränkt wird. Allerdings ist zu bedenken, dass im Jahre 2008 das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 zu staatlichen Einnahmeausfällen führen wird; bei nachlassender Konjunktur also den hier diskutierten Konflikt erneut aufleben lassen wird. Um Staatsverschuldung zu reduzieren, sind also zwei Strategien zu nutzen: - der Verzicht auf Steuersenkungen und/oder - eine dynamische Wachstums- und Ausgabenpolitik. 3. Staatsverschuldung – zur Technik, Geschichte und Regeln der Staatsverschuldung Staatsverschuldung erfasst jenen Teil der staatlichen Güterproduktion, der nicht durch laufende Steuereinnahmen und Privatisierungserlöse finanziert wird. Damit wird deutlich, das die Diskussion über Ausmaß und Entwicklung der Staatsverschuldung unzureichend ist, sofern sie sich nur auf die Zins- und Tilgungen im Zusammenhang mit Staatsverschuldung konzentriert. Übersehen wäre, dass mit dieser Finanzierungsform eine Produktion öffentlicher Güter möglich wird, die alternativ bei Abwesendheit von Staatsverschuldung nicht erfolgen könnte oder aber bei Umschichtung der laufenden Steuereinnahmen den Verzicht auf bestimmte „andere“ Güter verlangt. Nicht kontrovers ist, dass Verschuldung im Falle von Naturkatastrophen unvermeidlich sein kann, sofern eine unerwartete und kurzfristige Ausgabenerhöhung in diesem besonderen Fall als notwendig erachtet wird.[14] Und wenn in Folge von Konjunkturkrisen die staatlichen Steuereinnahmen kurzfristig um Krediteinnahmen aufgestockt werden müssen, wird dieses auch in konservativen Stellungnahmen nicht problematisiert, sofern im folgenden Konjunkturaufschwung die steigenden Steuereinnahmen zum Schuldenabbau verwendet werden.[15] So bleibt für die politische Diskussion jene „strukturelle“ Kreditaufnahme, die (nicht nur) in Deutschland als eine Art konjunkturunanbhängiger Sockel längerfristig absolut zunimmt, die Gebietskörperschaften insgesamt betrifft, allerdings hinsichtlich der jährlichen Nettoneuverschuldung rückläufig ist. So ist auch ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Nettoneuverschuldung des Bundeshaushaltes ab ca. 2010/11 zu beenden, um danach mit dem Abbau der Bundesschulden zu beginnen. Für die Bundesländer stellt sich diese Aufgabe ähnlich; gleichwohl haben einige Bundesländer bereits ausgeglichene Haushalte. Zur empirischen Erfassung der „Verschuldung“ sollen an dieser Stelle nur drei Anmerkungen erfolgen: - der wichtigste Finanzierungskanal für den Bund, der 2/3 der Verschuldung der Gebietskörperschaften von insgesamt 1539 Mrd € emittiert, ist meist das sog. Tenderverfahren, ein Bietungsverfahren, in dem Bundesanleihen und –obligationen, Bundesschatzanweisungen und unverzinsliche Schatzanweisungen begeben werden. Dabei beträgt die Bundesschuld gegenwärtig 945 Mrd €; die Verschuldung der Länder 480 Mrd € und die der Gemeinden 118 Mrd €.[16] Adressat für den Bund ist die Bietergruppe „Bundesemissionen“, bestehend aus Banken und Wertpapierhandelshäusern, auch in konsortialer Form. Für die Bundesländer sind beispielsweise Kreditreferate bei den Finanzministerien zuständig; hier überwiegt die Begebung mit Landesschatzanweisungen mit unterschiedlicher Laufzeit. Jeweils ist ein „Schuldenmanagement“ für die Festlegung der Produktpalette, der Gläubigerzielgruppen, Art der Verzinsung, Bestimmung der Emissionswährung, Art der Placierung etc. verantwortlich. Gegen Zins- und Kursrisiken werden – auch für die Weitergabe an den sekundären Markt – Swaps und Derivate vereinbart. - Der Verkauf von Staatsschuldpapieren an private Einzelpersonen, etwa Bundesschatzbriefe, ist vom Quantum nahezu unbedeutend; bei einer Gesamtschuld des Bundes von 945 Mrd € bestanden in 2007 gerade einmal 10 Mrd (rd. 1 vH) aus Bundesschatzbriefen. Dies mag einen möglichen Vorwurf relativieren, dass die Staatsverschuldung unmittelbar eine Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden darstellt. - Auch ist mit der hohen Bedeutung ausländischer Gläubiger, die etwa 40 vH der Staatsverschuldung aufnehmen, der Weltkreditmarkt repräsentiert, wodurch das Argument begrenzt wird, dass die deutsche Staatsverschuldung den einheimischen Kreditmarkt zinserhöhend belastet.[17] Die bestehenden Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden sind zunächst im Art 115 GG zu finden. Danach dürfen „die Einnahmen aus Krediten..die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“ Diese Vorgaben aus dem Grundgesetz sind allerdings unpräzise, weil - der Begriff staatlicher Investitionen nicht eindeutig bestimmbar ist. So wird von Bruttoinvestitionen ausgegangen, obwohl eine investitionsorientierte Verschuldung nur die vermögensvermehrenden Nettoinvestitionen zulassen sollte, - vermögensreduzierende Privatisierungserlöse nicht gegengerechnet werden, und - Investitionszuschüsse ans Ausland kein inländisches Staatsvermögen schaffen.[18] - Die Schaffung von Nebenhaushalten (z.B. Fonds „Deutsche Einheit“, Treuhandanstalt) ermöglicht Kreditaufnahme, ohne diese mit den übrigen Schulden zu verrechnen. So hat erst am 1. Januar 2005 der Bund die Schulden des Fonds „Deutsche Einheit“ übernommen. - Die „Störung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht“, deren Verkündung nach Art. 109, Abs.4 GG weitere Kreditaufnahme zulässt, ist nicht präzise definiert. Da die Länder mit ihren Verfassungen überwiegend dieser Regelung folgen, gelten diese unbestimmten Grenzen der Staatsverschuldung auch für sie. Ein weiteres Regelwerk für die Begrenzung der Staatsverschuldung stellt der Art. 104 EG-Vertrag dar. Das Protokoll Nr. 5 im EG-Vertrag verpflichtet die Mitgliedsländer der Währungsunion zu einer Begrenzung des laufenden Haushaltsdefizites des Gesamtstaates auf höchstens 3 vH und die Staatsverschuldung insgesamt auf höchstens 60 vH des nominalen Bruttoinlandsproduktes. Mit einer Vereinbarung im Haushaltsgrundsätzegesetz § 51a sind auch die deutschen Bundesländern an den Art. 104 EG-Vertrag gebunden und gegebenenfalls gemäß einer Ergänzung des Art. 109, Abs. 5 GG zu möglichen Strafzahlungen an die EU verpflichtet, sofern die deutsche Finanzpolitik die in den EU-Verordnungen Nr. 1055/05 und 1056/05 vereinbarten Defizitgrenzen überschreitet.[19] Es ist unklar, inwiefern diese aufgeführten Instrumente sowohl das Ausmaß als auch die Entwicklung der Staatsverschuldung beeinflussen konnten. Die Verschuldung der Gebietskörperschaften ist von 10 Mrd € (1950, umgerechnet) auf 1,556 Billionen € (2. Vj. 2007) angestiegen und hat seit 2003 die 60 Prozentregel überschritten; und auch die Nettoneuverschuldung hatte in den Jahren 2002 mit 3,7 vH und in 2003 mit 4,1 vH den Art.104 EG-Vertrag (in der Klarstellung durch die EU-Verordnungen Nr. 1055/05 und 1056/05) erheblich verletzt. Die angedrohten Strafverfahren der Europäischen Kommission wurden allerdings bereits im November 2003 durch den Ecofin-Rat (Europäischer Rat der Wirtschafts- und Finanzminister), unterstützt durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, ausgesetzt. Damit schien eine wichtige Kreditbegrenzungslinie hinfällig zu werden. Erst ab 2006 ist die Drei-Prozent-Grenze des BIP wieder unterschritten worden; und die Gesamtschuldengrenze von 60 vH des BIP sinkt ab 2006. Regelmäßig werden „empirische“ Beurteilungen der Staatsverschuldung unternommen. Mit dem Hinweis auf Zins- und Tilgungsausgaben in Höhe von 42,9 Mrd € für die Schulden des Bundes als zweitgrößter Ausgabenplan des Bundeshaushaltes 2008 wird eine Einengung der staatlichen Ausgabengestaltung befürchtet. Verschiedene Relationen der Zinsausgaben zu Steuereinnahmen (Zinssteuerquote) oder Gesamtausgaben (Zinsausgabenquote) verweisen im Bundesländervergleich auf systematische Unterschiede von Stadtstaaten (Hamburg, Berlin und Bremen) zu Flächenstaaten; ebenso differieren ost- und westdeutschen Bundesländer. Als empirische Referenz wird vielfach der Bund herangezogen. Diese Kennziffern sagen allerdings nur wenig aus, weil sie nur formale Relationen darstellen: „Für sich genommen haben Niveau und Entwicklung von Schuldenstandsquote und Defizit- oder Kreditaufnahmequote nur eine begrenzte Aussagekraft. Von vornherein ist.. keineswegs klar, ob eine Schuldenstandsquote von 30 vH „besser“ oder „schlechter“ ist als eine von 70 vH…“[20] Zur Beurteilung muss zwingend auf Theorie zurückgegriffen werden. 4. Theorie und Staatsverschuldung. Dabei ist unter „Theorie“ ein „vereinfachtes, abstraktes Abbild der Realität“ zu verstehen. Dazu stehen die neoliberale und die keynesianische Theorie zur Verfügung; davon abgeleitete wie der Monetarismus oder die mit mikroökonomischer Theorie ergänzte postkeynesianische Theorie werden hier nicht betrachtet, weil sie keine weiteren Erkenntnisse zu unserer Fragestellung anbieten. a. Der Neoliberalismus und die Staatsverschuldung. Zu Beginn der 80er Jahre schrieb der Sachverständigenrat: „Staatsdefizite absorbieren einen großen Teil der privaten Kapitalbildung und führen dazu, dass die Zinsen, …für privates Wachstum ungünstiger sind, als sie es sein müssten.“ Und: „Die Kosten von Staatsleistungen, gleichwohl ob durch Steuern oder Kredite finanziert, sind die durch sie verdrängte…private Güterversorgung.“[21] Hier ist der sog. crowding-out-effekt angesprochen. Die Verdrängung privater Investitionen durch öffentliche Kreditnachfrage erhöht die Zinsen, was wiederum private Investitionen verdrängt (crowding-out = verdrängen). Dies kann mit einer Grafik veranschaulicht werden, die auf dem Kreditmarkt sowohl die Nachfrage nach Krediten durch die Investoren als auch das Kreditangebot durch die Sparer als zinsabhängig sieht und daher die staatliche Nachfrage nach Krediten (=Staatsverschuldung) den dort gehandelten Preis, also den Zins, erhöht. Die Zusammenhänge auf Gütermärkten, auf denen steigende Nachfrage tendenziell den Marktpreis erhöht, werden auf den Kreditmarkt übertragen. Aus der Vielzahl der Gegenargumente soll hier nur auf wenige verwiesen werden.[22] Der crowding-out-effekt geht von Knappheit an Geldkapital aus; steigende Zinsen fungierten als Knappheitsindikator. In einer Rezession allerdings, in der mangels vorgenommener Investitionen Geldkapital gerade nicht nachfragewirksam verwendet wurde, kann durchaus auf diese brachliegenden Investitionsfonds zurückgegriffen werden, ohne dass die Zinsen knappheitsbedingt steigen. Auch ist der internationale Geldmarkt faktisch ein Weltmarkt, für den eine zusätzliche Kreditnachfrage einer nationalen Regierung keine Verknappung brächte. Im übrigen geht dieses Knappheitsargument nicht von einer Welt der stofflosen Buchgeldschöpfung des Bankensystems aus; von den Möglichkeiten des Rückgriffs auf ausländisches Geldkapital wird ebenso abgesehen. Diese zinstheoretische Konstruktion des crowding-out-effektes berücksichtigt auch nicht die Bedeutung einer Notenbankpolitik für das Zinsniveau. Schließlich ist Notenbankpolitik immer „Zinspolitik“, die regelmäßigen Spekulationen um „Zinsschritte“ sowohl der EZB als auch des FEB belegen dies. Auch ändern Geldmengenvariationen der Zentralbanken regelmäßig das Kreditangebot, so dass sich empirisch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang von Staatsdefiziten und Nominal- bzw. Realzinsen finden lassen.[23] Ein anderes Argument stellt grundsätzlich die Notwendigkeit staatlicher Nachfrageintervention in Frage. Der Neoliberalismus geht von einem Idealbild flexibler Reaktionsmöglichkeiten von Preisen, Löhnen und Zinsen aus, so dass sich tendenziell geräumte Güter-, Arbeits- und Kreditmärkte einstellen. Eine staatliche kreditfinanzierte Nachfragepolitik ist dann unbegründet, weil ein volkswirtschaftliches Angebot immer vollständig nachgefragt wird. Mit dem sog. Say`schen Theorem, welches der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 1977/78 wiederbelebt hat und damit die künftigen Regierungen „Kohl“, „Schröder“ und „Merkel“ aus der Verantwortung für eine konjunkturelle Nachfragepolitik enthob, werden unzureichende Entwicklungen von Produktion und Beschäftigung nur noch mit Defiziten auf der Angebotsseite (Inflexibilität, zu hoher Lohn, etc) erklärt und folglich therapiert.[24] Außerdem erwartet der Neoliberalismus durch eine Kredit- oder Steuerfinanzierung ein öffentliches Güterangebot, welches a priori eine falsche, weil nicht privat erstellte Güterproduktion darstellt. Das öffentliche Güterangebot ist aufgrund außerökonomischer Entscheidungen und nicht gemäß ökonomischer Preis- und Knappheitssignale zustande gekommen und daher gesamtgesellschaftlich wohlfahrtsmindernd, weil es ineffizienten Ressourcenverbrauch repräsentiert. b. Keynesianische Theorie Die keynesianische Theorie wurde historisch notwendig, als die neoliberale Theorie bzw. ihre ökonomische Fundierung als Neoklassik in der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 sowohl als erklärende als auch therapierende Theorie scheiterte.[25] Die keynesianische Theorie sieht bei unzureichender privater Nachfrage eine staatliche Ausgabenerhöhung vor, die im Krisenfall mit unzureichenden Staatseinnahmen durch Kredite finanziert wird. Unzureichende Staatseinnahmen können freilich auch dadurch entstehen, dass eine Regierung umfangreiche Steuerentlastungen der Privaten unternimmt und dann „überrascht“ wird von einer unelastischen Reaktion des Steuersystems auf sinkende Steuersätze. In beiden Fällen drängt sich die Notwendigkeit auf, durch Kreditaufnahme die Staatsdefizite zu kompensieren. Das verlangt einen Konsens, die Staatsausgaben nicht entsprechend zu senken, auch weil krisenbedingt ein bestimmtes Ausgabenniveau eher stabil bleibt. Zu denken ist hier an die krisenkompensierenden Ausgaben im Bereich der Arbeitslosenunterstützung u.ä. Dies ist Inhalt der sog. automatischen Stabilisatoren.[26] Während der Neoliberalismus die Staatsverschuldung eliminieren will, geht die keynesianische Theorie eher pragmatisch mit der Staatsverschuldung um und kennt selbst bei konservativer politischer Hegemonie über Staatsverschuldung finanzierte „rechtskeynesianische“ Rüstungs- und Beschäftigungsprogramme, wie beispielsweise zu Beginn der 80er Jahre in den USA unter dem Präsidenten Reagan. So ist nicht die Staatsverschuldung „an sich“ zu kritisieren, sondern die Entscheidung zu einer Theorie, mit der der Untersuchungsgegenstand „Staatsverschuldung“ beurteilt wird. c. Saldenbasierte Theorie der Staatsverschuldung Die anfangs vorgestellten saldentheoretischen Beziehungen zwischen Ersparnis, Investition und Außenhandelssaldo werden um die Staatsverschuldung ergänzt. Dazu wird die private um die staatliche Ersparnis ergänzt; ebenso werden die privaten Investitionen um Staatsausgaben ergänzt: Private Ersparnis + staatliche Ersparnis = private Investition + Staatsausgaben. Da die Ersparnis in Deutschland größer ist als die private Investition, sind folglich die Staatsausgaben größer als die Staatseinnahmen. Mithin hat der Staat eine negative Ersparnis. Dies ist schlicht die Kreditaufnahme. Wieder hilft eine realwirtschaftliche Betrachtung. Die Ersparnis repräsentiert Einkommen, welches in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstanden ist, aber als Ersparnis nicht nachfragewirksam verwendet wird. In gleichem Maße, wie „das Ausland“ nun diese Güter absorbieren kann – man denke an die sog. „Ventilfunktion“ des Exportes -, ist gleichermaßen im Inland eine zusätzliche Staatsnachfrage geeignet, durch Erwerb dieser Güter einen möglichen Absatzeinbruch der inländischen Unternehmen zu verhindern. Dies ist als keynesianische Krisenverhinderung durch aktive staatliche Ausgabenpolitik bekannt und nach dem Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft (BGBl.I 582, 8.Juni 1967) auch vorgesehen. Freilich muss diese Nachfrage finanziert werden. Reichen krisenbedingt oder aufgrund vorheriger Steuerentlastungen die laufenden Steuereinnahmen nicht aus, muss auf Kredite zurückgegriffen werden, also saldentechnisch der Überschuss der Ersparnis über die Investition vom Staat absorbiert werden. Damit ist die staatliche Verschuldung eine kompensatorische Güternachfrage, deren Ausbleiben einen künftigen Produktions- und Beschäftigungsrückgang implementieren würde. Die gesamtwirtschaftliche Saldengleichung, die nur dadurch sich dem unmittelbaren Nachvollzog entziehen könnte, wenn die jeweiligen Zahlenwerte durch eine willkürliche Periodenabgrenzung zunächst lückenhaft sein könnten (aber auch nur dadurch !), sieht unter Erweiterung des Außenhandelssaldos wie folgt aus: Die Ersparnis einer Volkswirtschaft S entspricht der Nettoinvestition I, dem Handelsbilanzsaldo HBS (Exp – Imp) und dem Haushaltsbudget BD des Staates. Ein positiver Budgetsaldo ist ein Überschuss der Staatsausgaben über die laufenden Steuereinnahmen, mithin in Höhe dieses Überschusses eine Kreditaufnahme. Ein positiver Außenhandelssaldo ist (netto) ein Exportüberschuss; mithin erfolgt ein Kapitalexport in dieser Höhe, um dem Ausland die Finanzierung der Importe zu ermöglichen.[27]Folgende Konstellationen sind zunächst abstrakt möglich: Der Zusammenhang zwischen Ersparnis, Investition, Staatsbudgetsaldo und Handelsbilanzsaldo Fälle S I HBS BD 1. 300 300 0 0 2. 300 200 100 0 3. 300 250 0 50 4. 300 150 50 100 Aus: R. Volkmann; Leicht lernen-Makroökonomie. Ventus-Verlag Kopenhagen 2006, S.23 ; auch unter: www. Studentensupport.de/makroökonomie/Volkmann (leicht umgestellte Spalten) Nr. 4 wäre für Deutschland zutreffend: Einer hohen Ersparnis von 300 stehen gemäß Untersuchungen der Bundesbank von 6/2007 unzureichende Investitionen von 150 gegenüber. Aber ein Teil des volkswirtschaftlichen Güterüberschusses wird in Höhe von 50 netto exportiert. Zusätzlich sorgt eine staatliche Kreditaufnahme von 100 dafür, dass ein weiterhin gegebenes Nachfragedefizit von 100 durch staatliche Nachfrage absorbiert wird. Wird auf letzteres verzichtet, etwa weil der Staat sein laufendes Haushaltsdefizit auf „Null“ bringen möchte, würde ein gesamtwirtschaftlich verbleibendes Nachfragedefizit von 100 ein Anlass sein, künftig weniger zu produzieren und folglich Produktion und Beschäftigung einzuschränken Die Fälle Nr.1 und 2 belegen, dass der Verzicht auf eine Neuverschuldung des Staates nur für den Fall zulässig sein sollte, dass die privaten Unternehmen ihrer lehrbuchhaften Verantwortung gesamtwirtschaftlich nachkommen, regelmäßig für einen überaus expansiven Investitionsprozess zu sorgen. Trifft dies nicht zu, muss sich wie unter Nr. 2 „das Ausland“ in Höhe von 100 verschulden, mithin netto importieren. Die Bundesbank geht also genau von dieser unter Nr. 2 aufgeführten Beziehung für Deutschland aus.[28] Sofern aber „das Ausland“ nicht ständig unzureichende Nachfrage in Deutschland kompensieren kann, ist folglich kreditfinanzierte Nachfrage des Staates erforderlich. Für Deutschland lauten die Zahlen (in Mrd €) von 1991-2004 (Jahresdurchschnitte):[29] S = I + Budgetsaldo + Außenhandelssaldo Exp-Imp 81,4 = - 27,8 + (-) 49,33 + (-) 4,3 Die Ersparnis von 81,4 Mrd € ist in Höhe von 27,8 Mrd € von den Unternehmen „nachgefragt“ worden als Investitionen. Der Staat hat in Höhe von 49,3 Mrd Kredite aufgenommen, um in dieser Höhe mehr Güter nachfragen zu können als es ihm aus laufenden Steuereinnahmen möglich war. Das Ausland hat die verbleibende Nachfragelücke in Höhe von 4,3 Mrd € geschlossen. Noch notweniger wird die Staatsverschuldung, wenn die Unternehmen ihre einbehaltenen Gewinne, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu den „Ersparnissen“ gerechnet werden, nur teilweise investieren. Dann wird die Ersparnis der Haushalte noch um jene der Unternehmen erhöht.[30] In diesem Fall haben die Unternehmen netto nicht zum Abtrag des Güterberges beigetragen, sondern diesen um die Differenz ihrer Ersparnisse zu ihren Nettoinvestitionen noch erhöht. Umso höher muss bei konstantem Außenhandelssaldo dann die jährliche Neuverschuldung des Staates ausfallen, um den privaten Güterüberschuss zu kompensieren. Für 2004 lauten die Zahlen (in Mrd €)[31]: Der privaten und Unternehmensersparnis S in Höhe von 152,6 steht ein Exportüberschuss von 72,5 gegenüber. Die jährliche Staatsverschuldung hat folglich 80,1 betragen. Wäre diese „auf Null“ reduziert worden, hätte sich ein Güterüberschuss (152,6 – 72,5) in Höhe von 80,1 ergeben, der nicht abgesetzt und folglich nächstes Jahr gar nicht erst erstellt worden wäre – mit rezessiven Konsequenzen für Produktion und Beschäftigung. 5. Thesen zur Staatsverschuldung - pragmatisch In der Förderalismusreformdiskussion II steht im Mittelpunkt die Frage, ob und in welchem Maße ein staatliches Kreditaufnahmeverbot oder zumindest eine explizite Beschränkung, etwa nach der sog. Schweizer Schuldenbremse, in die Länderverfassungen aufgenommen werden sollte.[32] Zu dieser populären Absicht muss auch die LINKE eine inhaltliche Position finden. Dafür dienen abschließend die folgenden Argumente: - Gegner der Staatsverschuldung argumentieren, dass der Abbau der Staatsverschuldung wieder fiskalpolitische Handlungsspielräume schaffe für künftige Aktivitäten. Dies überrascht, da die Vision eines künftig aktiven und gestaltenden Staates gerade nicht dort verortet ist, wo das Streben nach Abbau der Staatsverschuldung mit dem Plädoyer der Entstaatlichung einhergeht. - Ist Staatsverschuldung eine Umverteilung zugunsten der „Besserverdienenden“ ? Dazu drei Anmerkungen: - Staatsverschuldung repräsentiert einen Teil der öffentlichen Güterproduktion, der aus laufenden Steuereinnahmen nicht erbracht werden könnte. Sofern die öffentliche Güterproduktion bevorzugt „den Armen“ zugute käme, etwa als „zweite Lohntüte“, da „Besserverdienende“ sich viele Leistungen privat kaufen könnten, wäre die reale Gegenbuchung eine Begünstigung der „Armen“. - Das Argument der Begünstigung der „Besserverdienenden“ muss insofern relativiert werden, da primär nur ca. ein vH der Staatsverschuldung unmittelbar bei privaten Haushalten untergebracht wird. - Staatsverschuldung wird auch bei privaten und öffentlichen Versicherungen untergebracht, deren Ausschüttungen als z.B. Bauspardarlehen, Lebensversicherungen oder Renten bei Fälligkeit viele gesellschaftliche Schichten begünstigt. - Staatsverschuldung ist eine Möglichkeit, ausländisches Geld bzw. „überschüssige Liquidität“ für inländische Verwendungszwecke zu mobilisieren. Sofern hier der Staat keine Kreditnachfrage entfaltet, entstehen u.a. hedge fonds, private equity-fonds und real-estate-investment-trusts (reits). Deren Aufkommen ist auf drei Ursachen zurückzuführen: dem Vordringen kapitalbasierter Altersversorgung, den Umverteilungsprozessen zugunsten der Profiteinkommen und eben auch dem Abbau staatlicher Verschuldung.[33] - Staatsverschuldung ermöglicht eine „gerechte“ intergenerative Lastenverteilung. Künftige Generationen, von denen eine bereits gegenwärtig in den Kindergärten, Schulen etc anzutreffen ist, haben Nutzen aus heute erstellten Leistungen per Kredit. Folglich zahlen sie später während der Nutzung auch ihren Beitrag in Form von Zinsen und Tilgungen der Staatsschuld. Warum sollte die heutige Generation allein zuständig sein für die Finanzierung ? Der Beitrag aller Generationen für die Nutzung öffentlicher Infrastruktur ist in der Finanzwissenschaft als „pay-as you-use- Prinzip“ bekannt. - Die künftige Generation erbt nicht nur die Schulden, sondern auch das Vermögen; also die reale Infrastruktur und die verbrieften Forderungen an den Staat. - Die keynesianische Theorie zeigt auf, dass die moderne Krise im Kapitalismus durch unzureichende Verwendung des volkswirtschaftlichen Überschusses zu begreifen ist: produzierte Werte werden nicht realisiert. Hier wird es zur staatlichen Aufgabe, als „demand management“ private Einkommensteile, die als „Ersparnis“ nicht nachfragewirksam verwendet werden, als Kredite aufzunehmen und sie für staatliche Güternachfrage zu mobilisieren, mithin also der Gütersphäre zuzuführen. Wird auf dieses nachfragestützende Instrument verzichtet, müssen die Ersparnisse von Fonds wie in der Gegenwart aufgenommen werden mit eher spekulativer Ausrichtung, weil ihnen oft die Nähe zu den Gütermärkten fehlt. - Staatsverschuldung ist ein Angebot für Geldanleger, ihr Geld nicht für private Luxusgüter, sondern für damit sinnvollerweise finanzierte öffentliche Güter „umzuwidmen“. - Da Staatsverschuldung ein Instrument zur Kompensation unzureichender privater Investition ist, bliebe alternativ zwingend das Ausland zu regelmäßigem Import („unsere“ Exporte) überschüssiger inländischer Güter verpflichtet. Hier gerät die inländische Konjunktur in eine labile Abhängigkeit von ausländischer Nachfrage, deren Determinanten nicht vom Inland bestimmbar sind. Schließlich beinhaltet der Zwang zu einer regelmäßig funktionierenden Exportierbarkeit überschüssiger deutscher Güter eine bewusst aggressive Außenhandelspolitik, da sie gleichzeitig im Ausland zur Vernichtung von Produktion und Beschäftigung führt. - Neoliberale Politik strebt eine ungleiche Gesellschaft an, weil nur so aus Ungleichheit auch Sparfähigkeit der „Besserverdienenden“ hergestellt werden kann. Deren „Ersparnis“ ist in der neoklassischen Theorie Voraussetzung für „Investition“. Staatsverschuldung engt diesen Umverteilungsprozess ein, weil sie die Ersparnis der Besserverdienenden in eine politisch bestimmte Güterproduktion umsetzt, dessen Entscheidungsprozeß eine demokratische Abstimmung verlangt. - Wenn Staatsverschuldung für Folgen unzureichender privater Nachfrage steht, kann sie in diesem Zusammenhang nur vermieden werden, wenn die private Nachfrage wieder gestärkt wird. So kann die Forderung nach Abbau der Staatsverschuldung sinnvoll verwendet werden für eine Forderung, alternativ die private lohnfinanzierte Nachfrage zu stärken. Falsch wäre es dabei, die Unternehmen steuerlich zu stärken, da diese- siehe oben zur Analyse der Bundesbank – bei unzureichenden Absatzperspektiven auch ihren investiven Kapazitätsaufbau nur ungenügend vornehmen. - Abschließend ein statistisches Argument: Wenn der Staat neue Schulden in prozentuall geringerem Maße aufnimmt, wie das nominale BIP wächst, wird die Schuldenquote als Bruch aus beiden Größen in einer wachsenden Wirtschaft sinken. 6. Politisches Fazit Die mit Staatsverschuldung verbundenen Zins- und Tilgungsverpflichtungen sind regelmäßig bekannt und bedürfen hier keiner zusätzlichen Erwähnung. Daraus aber schon zu folgern, dass deren Abbau uneingeschränkt eine empfehlenswerte Politik darstellt, sollte mit den angeführten Argumenten widersprochen werden. Dabei ist ein zentraler Kritikpunkt des Europäischen Einigungsprozesses, eine bereits vereinheitlichte Geldpolitik des Europäischen Zentralbanksystems zu installieren, obwohl die realwirtschaftlichen Bedingungen in den Volkswirtschaften Europas noch erheblich differieren. So ist nur noch die nationale Finanzpolitik der jeweiligen Länder in der Lage, autonome Gestaltungsspielräume für angestrebte Entwicklungsprozesse von Produktion und Beschäftigung zu nutzen. Dabei ist der Inhalt dieser Politik in demokratischen Diskussionen zu bestimmen; denn die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank entzieht sich jeglicher demokratischer Mitwirkung. Wird dagegen dem populären Ruf nach Abbau der Staatsverschuldung gefolgt, begibt man sich um mögliche Chancen der Produktion öffentlicher Güter, der Diskussion um „öffentlich (geförderte) Beschäftigung“ und hat sich einem politisch wichtigen Schritt entzogen: der Klärung des eigenen Verständnisses vom Staat, seinen Aufgaben und mithin seinen Ausgaben. Zusammenfassung Die „Staatsverschuldung“ als eine Finanzierungsmöglichkeit alternativer wirtschaftspolitischer Konzepte wird von der konservativen Politik abgelehnt, aber auch von „der Linken“ weitgehend vermieden. Dieser Beitrag will aufzeigen, welche Gründe weiterhin für Staatsverschuldung zur Finanzierung „öffentlicher Güter“ sprechen. So kann der volkswirtschaftliche Überschuss für einen sozialorientierten Entwicklungsweg genutzt werden. Staatsverschuldung hilft ebenso, eine aggressive Außenwirtschaftspolitik zu vermeiden. Der Beitrag setzt sich darüber hinaus mit einer Vielzahl weiterer Argumente zur Staatsverschuldung auseinander. Dies ist notwenig, um zu Fragen des Staatsverständnisses, der öffentlichen Güterproduktion und Beschäftigung eine fundierte Position zu gewinnen. Rainer Volkmann [1] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007, S. 17-28 [2] Ebenda S. 17 [3] Ebenda S. 18 [4] Ebenda S. 18 [5] Es ist daran zu erinnern, dass Kapitalgesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit darstellen und daher die einbehaltenen Gewinne ihnen „ad personam“ zugeordnet werden als unternehmerische Ersparnis. Von Steuerzahlungen kann hier abstrahiert werden, da sie bereits „vorher“ erfolgt sind. [6] Die Notwendigkeit der Periodenabgrenzung –meist ein Jahr – verschleiert eine wichtige Information, dass deutsche Exporte „letztlich“ in inländischer Währung zu bezahlen sind; und der Kapitalexport ist die Möglichkeit, den Abnehmerländern deutscher Exporte die notwendigen Fremdforderungen zur Verfügung zu stellen. Dass die Kapitalexporteure ihrerseits andere Interessen-etwa die zinsbringende Geldanlage im Ausland – haben, ändert nichts an der Tatsache, etwa ausländischen Importeuren am Devisenmarkt Euro anzubieten, um inländische Währung zu erhalten. [7] Die Produktion des Sozialproduktes verlangt einen bestimmten Einsatz importierter Vorprodukte (Energie etc). Diese werden erfasst und insgesamt bei den Exporten abgezogen, um „für sich“ den Außenbeitrag zu erhalten [8] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Staatsverschuldung wirksam begrenzen. Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie 2007; Ziff. 266. Im Folgenden: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung [9] Ebenda Ziff. 265 [10] Ebenda Ziff 266 [11] Ebenda Ziff. 263, Tab. 17 [12] Bulletin Nr. 111 v. 12.09.1975 [13] R. Volkmann; Beschäftigungspolitik !a.a.O. S. 26, siehe auch S. 31 ff zur Parallelität von Beschäftigungspolitik und Haushaltskonsolidierung; auch: H.B Leibninger./ B Rohwer; Die Fiskalpolitik in den Jahren 1974 bis 1979: Ineffiziente Instrumente oder unzulängliche Anwendung. In: Konjunkturpolitik H.5. Berlin 1981, S. 261 ff [14] So werden in Art 87, Abs.2 (b) staatliche Beihilfen „gleich welcher Art“ für Naturkatastrophen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Auch die konjunkturbedingten Kreditaufnahmen durch die sog. automatischen Stabilisatoren werden regelmäßig akzeptiert. Dazu: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 62 ff. [15] Sachverständigenrat; Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 135 ff. Insbesondere die Ausführungen zur „Schweizer Schuldenschranke“ belegen, dass staatliche Kreditaufnahme in der Marktwirtschaft nicht prinzipiell auszuschließen ist. [16] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 10/07; stat. Anhang Tab. 14, S. 60* [17] Hier ist der weiter unten erläuterte sog. „crowding-out-effekt“ zu nennen, der aus der staatlichen Kreditnachfrage auf dem inländischen Kreditmarkt Zinssteigerungen ableitet, die wiederum private Kreditnachfrage zurückdrängen. Dieser Effekt dürfte umso weniger eintreten, je größer der betrachtete Kreditmarkt ist.Vgl. dazu R. Volkmann; Beschäftigungspolitik !Opladen 2001, S. 45 ff [18] Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 93 ff [19] Ebenda Ziff. 107 ff [20] Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 33 [21] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Jahresgutachten 1981/82, Ziff. 299 [22] Eine umfangreichere Kritik findet sich in: R. Volkmann; Reschäftigungspolitik! a.a.O. S. 46 ff [23] R. Hickel, J. Priewe; Ineffiziente Instrumente oder unzureichende Anwendung ? Die Finanzpolitik von 1974 -1984 auf dem Prüfstand: Argumente für ein Beschäftigungsprogramm; in: PIW-Studien Nr. 3; PIW-Progress-Institut für Wirtschaftsforschung. Bremen 1985 [24] [24] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Jahresgutachten 1977/78, Ziff. 241. Das sog. Saysche Theorem ( nach Jean Baptiste Say, 1767-1832, nachklassischer bürgerlicher Ökonom) ist eine tautologische Beschreibung der Naturaltauschwirtschaft, in der jedes realisierte Angebot zwingend eine Nachfrage gefunden hat. Mit der Einführung der Geldwirtschaft ist dieser Gütertausch nicht mehr erforderlich, da Ware gegen Geld getauscht wird und der Gütererwerb mit Geld verzögert werden kann. Gleichwohl hat der Sachverständigenrat mit dem Say schen Theorem erreichen wollen, dass Ursachen für Wirtschaftskrisen nicht mehr auf der Nachfrageseite zu bestimmen sind. Damit wurde „das Zeitalter“ der Angebotspolitik und der Abschied von der Nachfragesteuerung vorbereitet. [25] Zur historischen Einordnung und Differenzierung von Neoliberalismus und Neoklassik C. Butterwege, B. Lösch, R. Ptak; Kritik des Neoliberalismus. Wiesbaden 2007, S. 26 ff [26] Darunter sind antizyklische Effekte im Steuer- und Arbeitslosenversicherungssystem zu verstehen, die in der Hochkonjunktur und progressivem Steuersatzsystem Nachfrage abschöpfen; in der Krise durch Zahlungen an Arbeitslose eine konjunkturelle Mindestnachfrage garantieren. [27] Es wird von Nettoinvestition gesprochen, da die Ersatzinvestitionen (zusammen mit den Nettoinvestitionen ergeben sie die Bruttoinvestitionen) bereits durch die Abschreibungen finanziert wurden. Um diese, obwohl sie eine Ersparnisgröße darstellen, wurden die Ersparnisse S bereits korrigiert. [28] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007; S. 17 f [29] Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik; Memorandum 2006: Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung. Köln 2006, S. 65. Im Folgenden: Memorandum 2006 [30] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007; S. 17 f [31] Memorandum 2006, S. 65 [32] Zur „Schweizer Schuldenbremse“: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 150 ff [33] J. Huffschmidt; Das Diktat der Finanzmärkte; in: Blätter für deutsche und internationale Politik. H.11/07; S. 1335 f Überlegungen zur Herangehensweise beim Finanzierungsinstrument „Haushaltsumschichtungen“ I. Grundprobleme 1. Man wird deutlich sagen müssen, was wir aus politischen Gründen nicht wollen (umgeschichtet) und was wir aus ökonomischen Gründen nicht für vertretbar sehen. 2. Dass politische und wirtschaftlichen Begründungen gleichermaßen für einen Verzicht sprechen (im Rahmen einer Umschichtung) und uns widerspruchsfreie Position ermöglichen, dürfte eher selten sein. (so zum Beispiel bei Fragen der Rüstung, die politisch und ökonomisch –„mit einer Mill. in Rüstung schafft man weniger Arbeitsplätze als in ziviler Produktion“ –gleichermaßen unergiebig sind). 3. Es wird komplizierter: Bekanntlich setzt neoliberale Bekämpfung von AL immer am Arbeitsmarkt direkt an („niedrigere Löhne schaffen mehr Beschäftigung“). Wir kritisieren das zu Recht. ABER: a. Ist unsere Kritik politisch oder ökonomisch begründet? b. Wenn der Neoliberalismus die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit immer unmittelbar am Arbeitsmarkt direkt vornimmt mit „Lohnsenkung“ und wir auf der gleichen methodischen Ebene halt „Löhne rauf“ erwidern, akzeptieren wir da nicht doch, dass Bekämpfung von AL eben am Arbeitsmarkt direkt ansetzen muss? (der Neoliberalismus gibt also die prinzipielle Lösungsebene vor, auf der auch wir uns wiederfinden?!) Dass das die falsche Strategieebene ist, lehrt aber gerade das Versagen des Neoliberalismus Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, auch gegenwärtig - und eben auch die Wirtschaftswissenschaften (Keynes) c. Auf unser Thema bezogen: Was passiert, wenn wir Haushaltsumschichtungen zugunsten von Ausgaben anstreben, die direkt den Armen, Arbeitslosen zugute kommen. Dafür „streichen“ wir Ausgaben, die nicht direkt den Armen, Arbeitslosen zugute kommen. Aber: Hätten die gestrichenen Ausgaben etwa keine positiven Arbeitsmarkteffekte gebracht? Wer schafft denn die Wertschöpfung? Also: Die Streichung von Ausgaben reduziert immer auch Beschäftigung = die übersehene „Gegenrechnung“ von politisch gewünschten „Streichungen“. d. SCHLUSSFOLGERUNG: Unser Thema zwingt, immer auch die mittelbaren also indirekten Effekte mitzudenken. Denn es ist der Neoliberalismus, der seine Attraktivität auch seiner „Einfachheit“ verdankt, immer nur direkt, „einfach“, für jeden nachvollziehbar“, aus dem Alltag heraus zu argumentieren. (Hand auf`s Herz: Wenn Ihr jemanden bei Euch einstellen wollt- nehmt Ihr nicht auch den billigeren von zwei gleichen Bewerbern (weibliche Form mitdenken)? Aber gerade die „Ökonomie“ verlangt gedanklich mehr. 4. Dass das keine abwegige Argumentation ist, soll nur dadurch belegt sein, dass Beurteilungen, die „nur“ am Arbeitsmarkt direkt ansetzen, immer auch die neoliberale (besser: neoklassische) Herangehensweise (Methodik!) repräsentieren, während die mittelbaren Arbeitsmarktwirkungen – im Falle der Umschichtung kommt es auch zu Streichungen, so dass diese also negativ ausfallen –gerade das Feld der keynesianischen Sichtweise repräsentieren: Schichte ich um, habe ich positive unmittelbare Effekte, „erklärt durch eine neoliberale Analytik“ und negative mittelbare Effekte, „erklärt durch eine keynesianische Analytik“. Zum Verständnis: Ist von Neoklassikern(Neoliberalen) jemals zu hören, dass sie wegen ihres Plädoyers für niedrige Löhne Sorge machen um die Arbeitsplätze, die wegen sinkender Kaufkraft in nachgelagerten Bereichen (Einzelhandel etc) dann weg fallen? Sorgt sich Schlecker um die Nachfragewirkung, wenn seine neuen Leiharbeiterinnen nur noch den halben Lohn in den Schleckerfilialen erhalten? 5. Für unsere sozialorientierte Politik kommt es darauf an, wie wir die Arbeitslosigkeit verursacht sehen: Wenn sie Folge von Krisen ist, muss an den Ursachen angesetzt werden – und die sind nicht am Arbeitsmarkt und bei den Arbeitslosen selbst zu finden, sondern z.B. an dem Wegbrechen von Arbeitsmengen(Arbeitsvolumina). Mit Keynes verbinden wir ja gerade das intellektuell anspruchsvollere Denken in komplexen Zusammenhängen: Nämlich Arbeitslosigkeit (und Armut) nicht verursacht zu sehen unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt und bei den Arbeitslosen und Armen (das ist die neoliberale bzw. folglich dann auch eine „linke“ Sicht), sondern in den Funktionsdefiziten der Gütermärkte und „falscher“ Einkommensverteilung. 6. Diese komplexere Sichtweise wird übrigens längst schon von der herrschenden Politik angewandt: Wir haben es beispielsweise bei der Clusterpolitik, bei der sog. Standortpolitik, und – das sei mal so fachlich hinzugefügt -in der neuen „geografischen Ökonomie“ ( P.Krugman) , die die Urbanisierungspolitik und vor allem die Regionalpolitik revolutionierte: Die neue Regionalpolitik hat zentral bereits die Berücksichtigung der sog. Externen Effekte als Agglomerationsvorteile verarbeitet. Nur kurz ein Beispiel: Die Konzentration z.B. von qualifizierten Arbeitskräften schafft Kaufkraftvorteile für indirekt davon begünstigte Wirtschaftszweige und fördert somit deren Ansiedlung. Gleichzeitig profitiert indirekt begünstigtes Gewerbe vom zentralen Arbeitskräftepool eines urbanen Raumes. 7. Genauer: Eine Haushaltsumschichtung darf also nicht nur den „Kern“ der zur Disposition stehenden Ausgabenänderungen prüfen, sondern jeweils vor- und nachgelagerte Bereiche nicht übersehen. Dazu ein Beispiel: Eine Studie (IFO-Institut) über Kunst- und Kultureinrichtungen in Kassel, Essen und München kommt zu dem Ergebnis, dass die staatliche Unterhaltung von Theatern ein reiner Subventionsfall ist. Wenn aber vor- und nachgelagerte Bereiche berücksichtigt werden, erhält der Staat netto sogar Einnahmeüberschüsse. “Somit rechnen sich staatliche Kulturausgaben“(Fazit des Gutachtens)- aber erst, wenn vor- und nachgelagerte Bereiche berücksichtigt werden. 8. Was heißt das ? a. Erfasst man nur den Kernbereich, ist die Unterhaltung von „Kultur“ ein staatliches Verlustgeschäft. Also müssen aus ökonomischen Gründen staatliche Theater geschlossen werden, ihre Erhaltung ist dann nur aus politischen Gründen gerechtfertigt ( Siehe den sog. Widerspruch oben) b. Erfasst man Kernbereich u n d vor- und nachgelagerte Bereiche, erhält „der Staat“ netto einen Einnahmeüberschuß. In diesem Fall sind ökonomische u n d politische Gründe für die Erhaltung der Theater kongruent. 9. Das Finanzierungsinstrument der Haushaltsumschichtung muss also – seriöser Weise diese Ausbreitungseffekte von Haushaltsumschichtungen bei Streichungen und Zuführungen bedenken, sonst bliebe die Begründung von Haushaltsumschichtungen auf der populistischen Erscheinungsebene. bzw. „nur“ politisch begründet. 10. Ein weiteres Argument ist: Zu prüfen ist, welche staatlichen Ausgaben komplementäre private Investitionen nach sich ziehen. Streicht man Ausgaben, für die dies zu erwarten ist, und führt diese Summen einer Verwendung zu, zu der keine oder nur wenige private Investitionen komplementär erwartet werden, kommt es insgesamt zu einem Beschäftigungsrückgang. 11. Damit kann man leben und das politisch/soziale Profil stärken. Wir haben „nur“ dann das Problem, dass eine HH-Umschichtung ökonomisch „falsch“, politisch aber „richtig“ ist. Was ist aber sach- und fachgerechte Sozialpolitik? II. Weitere Kriterien- die Feinabstimmung 1. Wenn im Rahmen von HH-Umschichtungen staatliche Ausgaben gestrichen werden, ist zu klären: Kommt es zur Kompensation durch private Ausgaben/Fördergelder etc, oder unterbleibt mit der Streichung dann die gesamte Aktivität? 2. Bei HH-Umschichtungen – also „Streichungen“ und „dafür zusätzliche Ausgaben woanders“ ist jeweils die Struktur (Aufteilung) in Personal- und Sachausgaben zu bedenken: Streiche ich einen Titel mit hohen Personalausgaben und verwende die Mittel für einen Titel mit hohen Sachausgaben, erhöht sich kurzfristig die Arbeitslosigkeit. Hieße umgekehrt: Bei gleichen Summen des Streichens und Erhöhens könnte ich kurzfristig höhere Beschäftigung schaffen bzw. wäre hierin ein Kriterium für eine sozialorientierte Spar-/Umschichtungsstrategie zu sehen III. …und nun die Provokation: Ein „Ja“ für die Elbphilharmonie ? 1. (leider alte Zahlen aus meinem Buch „Ein Standort…)Hamburg hat 1991 55 Mio. „Gäste“! = Tagesdurchschnitt von 150.000. Diese haben konsumtive Ausgaben von 3,4 Mrd. getätigt. 40 % davon für Käufe im HH Einzelhandel. Kein Wunder also: Die am 8.1.2010 veröffentliche Stellungnahme des HH Einzelhandels zeugte von überraschend gut verlaufendem Weihnachtsgeschäft im Hamburger Einzelhandel. Ohnehin ist – einmalig in Deutschland – der Sommer im Hamburger Einzelhandel (vor allem in den Passagen u.ä,) sehr ertragreich. Grund: Hamburg-Besucher. Und das Deutsche Wirtschaftswissenschaftliche Institut für Fremdenverkehr schätzte, dass die Ausgaben der Hamburg-Touristen bei weitem deren Übernachtungs- und Beherbergungskosten überschreiten 2. Wir nähern uns der Elbphilharmonie…:Das IFO- Institut hat in einem Gutachten über die „volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur“ „normale“ und „festliche“ Theaterbesuche (hochpreisige Premieren, „höherwertige“ Aufführungen, etc) untersucht und festgestellt, dass bei festlichen Theaterbesuchen die Nebenausgaben – Bewirtung, Ausgaben für Medienerzeugnisse(Literatur, früher Schallplatten, jetzt CD und DVD) zum aufgeführten Kulturthema, Beherbergungszahlen, - doppelt so hoch sind (und eine andere Struktur haben).als bei „normalen“ Veranstaltungen. Daraus ergaben sich Beschäftigungsmultiplikatoren, die auch unterschiedlich waren: Bei „normalen“ Besuchen waren sie 1,6, bei festlichen 1,8.MaW: Aus Zusatzausgaben entstehen Zusatzeinkommen und damit Zusatzbeschäftigung. Oder Umgekehrt: Streichungen wegen Umschichtungen führen zu zusätzlichen Ausgabenrückgängen, zusätzlichen Einkommensreduzierungen und zusätzlicher Arbeitslosigkeit 3. Das hieße: „festliche“ Kulturveranstaltungen in staatlichen Kultureinrichtungen schaffen relativ hohe Nebenausgaben; „normale „ Veranstaltungen weniger und am wenigsten die „normalen“ in privaten Theatern. Folglich auch entsprechend unterschiedliche Multiplikatoren, die demnach bei der Elbphilharmonie am höchsten wären… 4. Nimmt man mal z.B. die Elbphilharmonie: Wenn das zu „festlichen“ Kulturbesuchen führt, hätten wir überdurchschnittliche Nebenausgaben (aber nur jene sind zu zählen, die auch diesem Anlass zuzurechnen sind = schwierig!). Genauer: Nebenausgaben der Theaterbesucher sind nur dann zu berücksichtigen, wenn ihnen entweder eine Erhöhung der Konsumquote der Theaterbesucher entspricht, oder wenn es sich um Ausgaben Auswärtiger Bewohner handelt, die ohne den Elbphilharmoniebesuch (mein stichelnder Beitrag) nicht erfolgt wären. Entscheidend ist, dass die Besucher Nebenausgaben tätigen, die vom Theater induziert sind und an anderer Stelle nicht zu Minderausgaben führen 5. Eine Streichung von Subventionen für Staatstheater – so das IFO-Institut –und Verwendung dieser Gelder für kleine Privattheater führt netto zu einem höheren Beschäftigungseffekt, weil mit gleicher Summe in kleinen Privattheatern mehr Künstler beschäftigt werden. Der Grund: Die Künstler bei Privattheatern sind wesentlich billiger. Das Ergebnis: Durch Umschichtung von 10 Mio. öff. Zuschüsse von öffentlichen zu privaten Theatern ergibt sich ein Rückgang von 130 Künstlern bei öffentlichen Theatern, denen ein Beschäftigungsgewinn von 300 bei Privaten gegenübersteht. Netto ein Beschäftigungsgewinn von 130. Aber: - (so das IFO):dieser Beschäftigungsgewinn „lebt“ davon, dass „private“ Künstler auch billiger bleiben, also durch „Selbstausbeutung“ bzw. „Selbstsubvention“ über Jobs (Kellnern etc) billig bleiben und i.d.R. keine Altersversorgung haben - die „Rückflüsse“ an den Staat sind auch geringer (die Selbstfinanzierung also geringer), weil aus billigen Künstlerjobs bei Privattheatern auch anteilig wenig oder keine Lohnsteuer und Sozialabgaben gezahlt werden - Das IFO schließt nicht aus, dass die Umschichtung finanziell zu geringeren staatlichen Rückflüssen führt und sich daher diese Umschichtung „nicht lohnt“, obwohl es netto einen Beschäftigungsgewinn gegeben hat.. Gleichwohl gilt „Zitat“: Eine Staatsausgabe für Kunst und Kultur sorgt dafür „das mit jeder zusätzlichen Million bis zu 1,4 Mio. zusätzliches Einkommen in der Region hervorgerufen wird. Kürzungen oder Umschichtungen würden also auch negativ wirken Für die Arbeitsplätze war das Ergebnis Zitat: „Zwei zusätzliche Arbeitsplätze durch direkte Ausgaben schaffen einen weiteren Arbeitsplatz in der übrigen Wirtschaft“ 6. Selbst wenn man niedrigere Multiplikatoren ansetzt, kann man auch bedenken: Bestimmte Ausgaben (nicht alle!) können zusätzliche Besucher o.ä, anlocken, die einkommenssteigernde Wirkungen haben. Und das kann noch zusätzliche Effekte verursachen. So ist die Oper in Oslo- ein faszinierender Bau - am Tage ein hoch frequentierter Touristenmagnet - ähnlich wie bisher nur das „Kon-tiki-Museum, Munch-Museum und ein Skulpturenpark 7. Ein weiteres Beispiel aus meinem Buch „Ein Standort…:: Die „sail 89“ hat 3 Mio. Besucher nach HH gebracht, obwohl HH nur 1,7 Mio. Bewohner incl. Säuglinge hat. Das DWIF rechnete HH vor: „das für jede in die Tourismusförderung gesteckte Mark das zehnfache an Steuern zurückbekommt“ (Quelle: Wirtschaftsanalyse 2/90 S. 14) IV: Fazit 1. Umschichtung ist immer auch Streichung: Es sind unter Beschäftigungsaspekten gerade in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Abwägungen offen zu legen 2. Es sollte bei Umschichtungen explizit der politische und der ökonomischeBegründungszusammenhang benannt werden bzw. welches Argument die Priorität (und warum?) erhalten hat. 3. Bei HH-Umschichtungen stellen sich immer Alternativen; und bei Streichen und Finanzieren sind b e i d e Seiten zu bedenken. 4. Das dafür notwendige Denkmuster ist „das Denken in Kreislaufzusammenhängen“. Genau dies ist mit der neoliberalen Herausforderungen bewusst verschüttet worden. Seitdem ist der niedrige Lohn gut für den, der unmittelbar einstellt. Was das für weitere Folgen hat im Kreislaufzusammenhang, ist nicht neoliberale Sicht. 5. …sollte aber unsere sein Rainer Volkmann AG Wirtschaft Haushalt Finanzen 13.1.2010 Ein deutliches „JA“ zur Staatsverschuldung Die Bundesbank hat in ihrem Junibericht in 2007 zur „Vermögensbildung und Finanzierung im Jahr 2006“ die volkswirtschaftliche Ersparnis untersucht.[1] Sie konstatiert im Rahmen des gegenwärtigen Konjunkturaufschwunges eine deutliche Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen, „was in den gesamtwirtschaftlichen Rechenwerken (die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und ihre Finanzierungsrechnung, R.V.) seinen Niederschlag in einem kräftigen Anstieg der „Ersparnisse“ des Unternehmenssektors findet.“[2] Zunächst ist zu erinnern: Ersparnisse in einer Volkswirtschaft enthalten nicht nur die private Ersparnis der Haushalte, sondern eben auch die einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften und, sofern eine positive Differenz zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben besteht, die positive Ersparnisbildung der Gebietskörperschaften. Letzteres wird bekanntlich im Rahmen der Förderalismusreformdiskussion II um Schuldenverbote für die Bundesländer angestrebt. Die deutliche Verbesserung der Ertragslage hat zwar die Investitionsquote von 2,9 auf 3,9 vH (Nettoinvestition in vH des verfügbaren Einkommens) erhöht, blieb aber deutlich unter der Investitionsquote von rd. 10 vH in den 90er Jahren.[3] Die Ersparnis der privaten Haushalte und des Unternehmenssektors fielen allerdings höher aus als die Bildung von Sachkapital und entsprach etwa dem Stand der 90er Jahre. Die Nettoinvestitionen sind dagegen „überraschend“ gering bzw. „wesentlich niedriger“ (Bundesbank) ausgefallen. Die Konsequenz für die Bundesbank lautet folglich: “Dem hohen inländischen Ersparnisüberschuss über die..deutlich gestiegenen, aber immer noch wesentlich niedrigeren Nettoinvestitionen entspricht der positive Leistungsbilanzüberschuss der deutschen Wirtschaft“.[4] Zur Klarstellung dieser Zusammenhänge ist eine Differenzierung nach realwirtschaftlicher und nominaler Betrachtung sinnvoll. Gerade dieser doppelten Betrachtungsweise verdanken wir wichtige makroökonomische Erkenntnisse, die in der Hinwendung zur mikroökonomischen Einseitigkeit und nur angebotsorientierten Sicht verloren gehen. 1. Die saldenmechanische Betrachtung einer Volkswirtschaft Die Ersparnis „am Ende“ einer betrachteten Produktionsperiode verkörpert bei Haushalten eine „nicht-konsumtive“ Verwendung des Einkommens. Bei Unternehmen sind es die einbehaltenen Gewinne, nachdem die Produktion abgeschlossen ist und etwaige Ausschüttungen an Kapitaleigner erfolgt sind.[5]Ein Teil dieser realen Ersparnis von Haushalten und Unternehmen wird vom Unternehmenssektor als Investition nachgefragt. Da lt. Bundesbank aber die Ersparnis über der Investition liegt, handelt es sich bei einem solchen Ersparnisüberschuss um Güter, die bisher nicht im Inland abgesetzt wurden. Nun besteht eine mögliche Verwendung darin, sie der ausländischen Nachfrage güterwirtschaftlich als Exporte zuzuführen (Die andere Möglichkeit, diese Güter vom Staat nachfragen zu lassen, wird später unter 4 behandelt). Aber dies muss auch finanziert werden. Hier hilft die nominale Betrachtung, die in Ersparnissen finanzielle Fonds sieht, die als Kredit den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Ein Ersparnisüberschuss verkörpert dann also ein nicht im Inland vollständig „abgesetztes“ Kreditpotential. Dies wird dem Ausland als Kapitalexport zur Verfügung gestellt werden; unabhängig davon, dass die Motive der nach Zinsanlage strebenden Kapitalexporteure andere sind als die der Warenexporteure.[6]So bestätigt die Bundesbank, dass der Überschuss der Ersparnis über die inländischen Nettoinvestitionen sowohl finanziell als Kapitalexport als auch realwirtschaftlich dem Exportüberschuss entspricht. Diese Zusammenhänge existieren „über den Köpfen der Beteiligten“ und begründen mit dem Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft gleichzeitig ihre Gläubigerposition im Welthandel. Umgekehrt befinden sich beispielsweise die USA mit ihrem Importüberschuss in einer Schuldnerposition gegenüber der deutschen Wirtschaft. Was bedeutet das? Zunächst kompensiert ein Exportüberschuss eine realwirtschaftliche Lücke, die durch die unzureichenden inländischen Investitionen, genauer: durch die unzureichende Umwandlung finanzieller Ersparnisfonds in Sachkapitalbildung entstanden ist. Trotz einer umfangreichen steuerlichen Förderung der Gewinne der Kapitalgesellschaften sowie der steuerlichen Entlastung der hohen Einkommen, die die Ersparnisbildung der Spitzeneinkommen begünstigen, wird damit nicht in gleichem Maße die Sachkapitalbildung angeregt. Eine neoliberale Umverteilungspolitik verlangt daher zwingend (!) eine expansive Außenwirtschaftspolitik. Diese enthält immer zwei Fundamente: Der inländischen Ersparnisüberschuss über die Nettoinvestition verlangt nach freiem internationalen Kapitalverkehr; und die Außenpolitik plädiert für internationalen Freihandel und Abschaffung aller Handelsrestriktionen. Man mag der Expansion der Europäischen Union durchaus Wohlfahrtsgewinne zuschreiben; ihre Erweiterung kann so auch eingeordnet werden als Notwendigkeit, einer neoliberalen „Erweiterung“ der inländischen Ersparnis durch steuerentlastungsbedingte Gewinn- und Spitzeneinkommenssteigerungen weitere reale Anlagesphären zu schaffen. Sofern der Außenhandel als freier Kapital- und Warenverkehr nicht diese Kompensation erreichen kann, verkörpert der Überschuss der Ersparnisse über die Nettoinvestition sowohl unrentierliche Finanzfonds als auch eine Absatzkrise für produzierte Güter. Die Folge wäre wiederum eine „rationale“ Reaktion des volkswirtschaftlichen Gesamtsystems im Kapitalismus: Die Absatzkrise reduziert die Produktion, damit Einkommen und Beschäftigung. Zwar trifft die Krise zunächst die politisch schwächere Klasse der Arbeitenden, aber sofern Besitzeinkommen und daraus abgeleitetes weitere Profiteinkommen ihre Quelle im Mehrwert durch Mehrarbeit haben, werden in der Rezession neben den Lohneinkommen, zunächst noch durch Umverteilung verzögert, auch die anderen Einkommen sinken. Sinken die Quellen der bisherigen Ersparnisse, sinken eben die „Ersparnisse“. Zwar wird dann weniger Kapital- und Warenexport notwendig sein, aber die Volkswirtschaft befindet sich auf dem Niveau tiefer Depression. Umgekehrt gilt: Kapital- und Warenexporte – sie gehören zusammen - sind zwei Seiten einer Variante, sich der Krisenanfälligkeit im Kapitalismus durch Nutzung der außenwirtschaftlichen Expansion zeitweilig zu entziehen. Exkurs I: Ersparnisüberschuss und positiver Außenhandelssaldo Das Sozialprodukt Y als Produktionsergebnis entsteht in der Produktion von Konsumgütern C, in der Produktion von Investitionsgütern I und im Exportüberschuss Exporte – Importe (Exp – Imp).[7] Es gilt: Y = C + I + Exp – Imp. Das Sozialprodukt als Äquivalent für das Volkseinkommen Y wird von den Unternehmer- und Arbeiterhaushalten verwendet für Konsum C und Ersparnis S. Es gilt: Y = C + S Daraus folgt bei Gleichsetzung: Die volkswirtschaftliche Ersparnis entspricht der Nettoinvestitioin und dem Außenhandelssaldo Exp – Imp. S = I + Exp – Imp Da die Bundesbank mit dem Ersparnisüberschuss über die Nettoinvestition den deutschen Leistungsbilanzüberschuss erklärt, soll mit folgendem vereinfachten Zahlenbeispiel dieser Zusammenhang verständlich gemacht werden. S = I + Exp - Imp 300 = 200 + 100 Hier wird deutlich, dass die unternehmerische Sachkapitalbildung von 200 nicht die hohe Ersparnis von 300 kompensiert; der inländischen Nachfrageausfall in Höhe von 100 wird durch die (Netto-)-Auslandsnachfrage ausgeglichen. Die dafür im Ausland notwendige Liquidität wird durch den Kapitalexport von 100 geschaffen. Das Ausland hat sich um 100 verschuldet. Im Folgenden werden staatliche Aktivitäten eingeführt, so dass neben der Verschuldung des Auslandes auch die inländische Staatsverschuldung zu beurteilen ist. 2. Ursachen der Staatsverschuldung Für die Bundesbank erhält die Außenwirtschaft die Aufgabe, inländische überschüssige Produktion und Ersparnisse nachzufragen. Gleiches kann geleistet werden im Inland durch staatliche Aktivitäten, diese Güter und Ersparnisse selbst nachzufragen. Bezüglich der Güter ist an öffentliche Infrastrukturleistungen zu denken. Die Nachfrage nach Ersparnissen zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur erfolgt über die Transformation der Gewinne (und Teile der Spitzeneinkommen) zu steuerpflichtigen Abgaben an den Staat. So werden aus potentiellen hohen Ersparnissen einer Volkswirtschaft (wie gegenwärtig) steigende Steuereinnahmen, die als laufenden Einnahmen u.a. die realen Infrastrukturausgaben finanzieren. Sofern aber Steuerarten abgeschafft (Vermögenssteuer) und/oder Steuersätze gesenkt werden (Absenkung des Spitzensteuersatzes sowie der Körperschaftssteuersätze) und bei unelastischer Reaktion des Steueraufkommens auf Steuersatzsenkungen die staatlichen Steuereinnahmen allenfalls gering steigen, muss zur Finanzierung staatlicher Ausgaben verstärkt auf Kredite zurückgegriffen werden Ursache dieser Staatsverschuldung sind hier nicht die gestiegenen Staatsausgaben, sondern das unzureichende Steueraufkommen. Eine weitere mögliche Ursache der gewachsenen Staatsverschuldung wären beschleunigte Staatsausgaben. Das Zutreffende kann für Deutschland geklärt werden. Abgesehen vom Einmaleffekt der deutschen Wiedervereinigung, der die Schuldenquote (Gesamtschulden zu BIP) von 43 vH in 1990 auf 59 vH in 1966 anhob, muss das Ausgabeverhalten sowohl des Bundes als auch der Länder überprüft werden. Aber sowohl die Ausgabenentwicklung als auch die Entwicklung der Staatsquote Deutschlands belegen eher ein im europäischen Vergleich unterdurchschnittliches Ausgabeverhalten: “Durch die sehr zurückhaltende Ausgabenpolitik kam es in Deutschland zu einem ausgeprägten Rückgang der Staatsquote“[8]. Und: „Im internationalen Vergleich liegt der …Anstieg der öffentlichen Ausgaben in Deutschland weit unter dem Durchschnitt.“[9] „Im Jahr 2007 weisen nur noch drei EU-Länder eine niedrigere Staatsquote als Deutschland auf.“[10]Entscheidend zur Erklärung der wachsenden Staatsverschuldung ist die im Vergleich zum Wachstum des BIP unterdurchschnittliche staatliche Steuereinnahmeentwicklung von -0,2 vH(!) für die Jahre 2000-2005 bei einem nominalen Wachstum des BIP von durchschnittlich 1,7 vH. [11] Die verschiedenen steuerpolitischen Entlastungen für die Unternehmen waren dafür verantwortlich, dass ein vergleichsweise geringes nominales Wachstum des BIP sich nicht ausreichend ergiebig in der Steuereinnahmeentwicklung niederschlug. Diese Abkoppelung der Steuereinnahmen von der ökonomischen Entwicklung hat zwei Konsequenzen: Entweder muss die Kreditaufnahme erhöht werden, oder aber die Entwicklung der Staatsausgaben wird an die niedrigen Steuereinnahmen geknüpft. Die verbreitet populäre Forderung nach Abbau der Verschuldung muss also sorgsam reflektiert werden; denn die entscheidende Ursache der Staatsverschuldung ist der politisch gewollte Verzicht auf mögliche Steuereinnahmen. Wird dies nicht bedacht, ist jegliche Unterstützung des Abbaus bzw. Vermeidung von Staatsverschuldung wie eine nachträgliche Rechtfertigung der Steuersenkung zugunsten von Besserverdienenden und Kapitalgesellschaften zu verstehen. Diese unredliche Argumentation hat in einem anderen Zusammenhang schon einmal funktioniert. Exkurs II: Demontage „keynesianischer“ Politik durch Staatsverschuldung In der Geschichte der Bundesrepublik ist bereits sehr früh die Staatsverschuldung instrumentiert worden zur Abwendung von keynesianischer Politik. In den Jahren 1974-1979, in denen noch mehrfach „keynesianische“ Beschäftigungsprogramme aufgelegt wurden, ist gleichzeitig eine Politik der Haushaltskonsolidierung („Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur“) betrieben worden.[12]Diese ließ in ihren kontraktiven Wirkungen über unzureichendes Wachstum die von den Konjunkturprogrammen erwarteten Steuereinnahmen geringer ausfallen. Ein negativer Finanzsaldo wegen des bewussten „deficit spending“ konnte somit nicht ausgeglichen werden und führte zu jener Kombination aus „aktiver Beschäftigungspolitik“ und „wachsender Staatsverschuldung“, die bis in die Gegenwart für eine Ablehnung jeglicher staatlicher Krisenbekämpfung herhalten muss, da sie angeblich doch nur zu wachsender Staatsverschuldung führe.[13] So gilt festzuhalten: Weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart war eine mangelnde Ausgabendisziplin Ursache der Staatsverschuldung, sondern immer die unzureichende Entwicklung der Staatseinnahmen. Letztere entsteht entweder bei Ausgabensteigerungen, die mit einer gleichzeitigen „Sparpolitik“ kombiniert sind, oder durch eine Steuerentlastungspolitik, wie sie gegenwärtig betrieben wurde. Auch die aktuelle Entwicklung (2006/2007) widerspricht diesen Erfahrungen nicht, sondern bestätigt, dass auch eine dynamische Konjunktur öff. Haushalte konsolidieren kann, sofern das konjunkturbedingte Steueraufkommen nicht durch Absenkungen/Abschaffungen von Steuersätzen beschränkt wird. Allerdings ist zu bedenken, dass im Jahre 2008 das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 zu staatlichen Einnahmeausfällen führen wird; bei nachlassender Konjunktur also den hier diskutierten Konflikt erneut aufleben lassen wird. Um Staatsverschuldung zu reduzieren, sind also zwei Strategien zu nutzen: - der Verzicht auf Steuersenkungen und/oder - eine dynamische Wachstums- und Ausgabenpolitik. 3. Staatsverschuldung – zur Technik, Geschichte und Regeln der Staatsverschuldung Staatsverschuldung erfasst jenen Teil der staatlichen Güterproduktion, der nicht durch laufende Steuereinnahmen und Privatisierungserlöse finanziert wird. Damit wird deutlich, das die Diskussion über Ausmaß und Entwicklung der Staatsverschuldung unzureichend ist, sofern sie sich nur auf die Zins- und Tilgungen im Zusammenhang mit Staatsverschuldung konzentriert. Übersehen wäre, dass mit dieser Finanzierungsform eine Produktion öffentlicher Güter möglich wird, die alternativ bei Abwesendheit von Staatsverschuldung nicht erfolgen könnte oder aber bei Umschichtung der laufenden Steuereinnahmen den Verzicht auf bestimmte „andere“ Güter verlangt. Nicht kontrovers ist, dass Verschuldung im Falle von Naturkatastrophen unvermeidlich sein kann, sofern eine unerwartete und kurzfristige Ausgabenerhöhung in diesem besonderen Fall als notwendig erachtet wird.[14] Und wenn in Folge von Konjunkturkrisen die staatlichen Steuereinnahmen kurzfristig um Krediteinnahmen aufgestockt werden müssen, wird dieses auch in konservativen Stellungnahmen nicht problematisiert, sofern im folgenden Konjunkturaufschwung die steigenden Steuereinnahmen zum Schuldenabbau verwendet werden.[15] So bleibt für die politische Diskussion jene „strukturelle“ Kreditaufnahme, die (nicht nur) in Deutschland als eine Art konjunkturunanbhängiger Sockel längerfristig absolut zunimmt, die Gebietskörperschaften insgesamt betrifft, allerdings hinsichtlich der jährlichen Nettoneuverschuldung rückläufig ist. So ist auch ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Nettoneuverschuldung des Bundeshaushaltes ab ca. 2010/11 zu beenden, um danach mit dem Abbau der Bundesschulden zu beginnen. Für die Bundesländer stellt sich diese Aufgabe ähnlich; gleichwohl haben einige Bundesländer bereits ausgeglichene Haushalte. Zur empirischen Erfassung der „Verschuldung“ sollen an dieser Stelle nur drei Anmerkungen erfolgen: - der wichtigste Finanzierungskanal für den Bund, der 2/3 der Verschuldung der Gebietskörperschaften von insgesamt 1539 Mrd € emittiert, ist meist das sog. Tenderverfahren, ein Bietungsverfahren, in dem Bundesanleihen und –obligationen, Bundesschatzanweisungen und unverzinsliche Schatzanweisungen begeben werden. Dabei beträgt die Bundesschuld gegenwärtig 945 Mrd €; die Verschuldung der Länder 480 Mrd € und die der Gemeinden 118 Mrd €.[16] Adressat für den Bund ist die Bietergruppe „Bundesemissionen“, bestehend aus Banken und Wertpapierhandelshäusern, auch in konsortialer Form. Für die Bundesländer sind beispielsweise Kreditreferate bei den Finanzministerien zuständig; hier überwiegt die Begebung mit Landesschatzanweisungen mit unterschiedlicher Laufzeit. Jeweils ist ein „Schuldenmanagement“ für die Festlegung der Produktpalette, der Gläubigerzielgruppen, Art der Verzinsung, Bestimmung der Emissionswährung, Art der Placierung etc. verantwortlich. Gegen Zins- und Kursrisiken werden – auch für die Weitergabe an den sekundären Markt – Swaps und Derivate vereinbart. - Der Verkauf von Staatsschuldpapieren an private Einzelpersonen, etwa Bundesschatzbriefe, ist vom Quantum nahezu unbedeutend; bei einer Gesamtschuld des Bundes von 945 Mrd € bestanden in 2007 gerade einmal 10 Mrd (rd. 1 vH) aus Bundesschatzbriefen. Dies mag einen möglichen Vorwurf relativieren, dass die Staatsverschuldung unmittelbar eine Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden darstellt. - Auch ist mit der hohen Bedeutung ausländischer Gläubiger, die etwa 40 vH der Staatsverschuldung aufnehmen, der Weltkreditmarkt repräsentiert, wodurch das Argument begrenzt wird, dass die deutsche Staatsverschuldung den einheimischen Kreditmarkt zinserhöhend belastet.[17] Die bestehenden Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden sind zunächst im Art 115 GG zu finden. Danach dürfen „die Einnahmen aus Krediten..die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“ Diese Vorgaben aus dem Grundgesetz sind allerdings unpräzise, weil - der Begriff staatlicher Investitionen nicht eindeutig bestimmbar ist. So wird von Bruttoinvestitionen ausgegangen, obwohl eine investitionsorientierte Verschuldung nur die vermögensvermehrenden Nettoinvestitionen zulassen sollte, - vermögensreduzierende Privatisierungserlöse nicht gegengerechnet werden, und - Investitionszuschüsse ans Ausland kein inländisches Staatsvermögen schaffen.[18] - Die Schaffung von Nebenhaushalten (z.B. Fonds „Deutsche Einheit“, Treuhandanstalt) ermöglicht Kreditaufnahme, ohne diese mit den übrigen Schulden zu verrechnen. So hat erst am 1. Januar 2005 der Bund die Schulden des Fonds „Deutsche Einheit“ übernommen. - Die „Störung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht“, deren Verkündung nach Art. 109, Abs.4 GG weitere Kreditaufnahme zulässt, ist nicht präzise definiert. Da die Länder mit ihren Verfassungen überwiegend dieser Regelung folgen, gelten diese unbestimmten Grenzen der Staatsverschuldung auch für sie. Ein weiteres Regelwerk für die Begrenzung der Staatsverschuldung stellt der Art. 104 EG-Vertrag dar. Das Protokoll Nr. 5 im EG-Vertrag verpflichtet die Mitgliedsländer der Währungsunion zu einer Begrenzung des laufenden Haushaltsdefizites des Gesamtstaates auf höchstens 3 vH und die Staatsverschuldung insgesamt auf höchstens 60 vH des nominalen Bruttoinlandsproduktes. Mit einer Vereinbarung im Haushaltsgrundsätzegesetz § 51a sind auch die deutschen Bundesländern an den Art. 104 EG-Vertrag gebunden und gegebenenfalls gemäß einer Ergänzung des Art. 109, Abs. 5 GG zu möglichen Strafzahlungen an die EU verpflichtet, sofern die deutsche Finanzpolitik die in den EU-Verordnungen Nr. 1055/05 und 1056/05 vereinbarten Defizitgrenzen überschreitet.[19] Es ist unklar, inwiefern diese aufgeführten Instrumente sowohl das Ausmaß als auch die Entwicklung der Staatsverschuldung beeinflussen konnten. Die Verschuldung der Gebietskörperschaften ist von 10 Mrd € (1950, umgerechnet) auf 1,556 Billionen € (2. Vj. 2007) angestiegen und hat seit 2003 die 60 Prozentregel überschritten; und auch die Nettoneuverschuldung hatte in den Jahren 2002 mit 3,7 vH und in 2003 mit 4,1 vH den Art.104 EG-Vertrag (in der Klarstellung durch die EU-Verordnungen Nr. 1055/05 und 1056/05) erheblich verletzt. Die angedrohten Strafverfahren der Europäischen Kommission wurden allerdings bereits im November 2003 durch den Ecofin-Rat (Europäischer Rat der Wirtschafts- und Finanzminister), unterstützt durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, ausgesetzt. Damit schien eine wichtige Kreditbegrenzungslinie hinfällig zu werden. Erst ab 2006 ist die Drei-Prozent-Grenze des BIP wieder unterschritten worden; und die Gesamtschuldengrenze von 60 vH des BIP sinkt ab 2006. Regelmäßig werden „empirische“ Beurteilungen der Staatsverschuldung unternommen. Mit dem Hinweis auf Zins- und Tilgungsausgaben in Höhe von 42,9 Mrd € für die Schulden des Bundes als zweitgrößter Ausgabenplan des Bundeshaushaltes 2008 wird eine Einengung der staatlichen Ausgabengestaltung befürchtet. Verschiedene Relationen der Zinsausgaben zu Steuereinnahmen (Zinssteuerquote) oder Gesamtausgaben (Zinsausgabenquote) verweisen im Bundesländervergleich auf systematische Unterschiede von Stadtstaaten (Hamburg, Berlin und Bremen) zu Flächenstaaten; ebenso differieren ost- und westdeutschen Bundesländer. Als empirische Referenz wird vielfach der Bund herangezogen. Diese Kennziffern sagen allerdings nur wenig aus, weil sie nur formale Relationen darstellen: „Für sich genommen haben Niveau und Entwicklung von Schuldenstandsquote und Defizit- oder Kreditaufnahmequote nur eine begrenzte Aussagekraft. Von vornherein ist.. keineswegs klar, ob eine Schuldenstandsquote von 30 vH „besser“ oder „schlechter“ ist als eine von 70 vH…“[20] Zur Beurteilung muss zwingend auf Theorie zurückgegriffen werden. 4. Theorie und Staatsverschuldung. Dabei ist unter „Theorie“ ein „vereinfachtes, abstraktes Abbild der Realität“ zu verstehen. Dazu stehen die neoliberale und die keynesianische Theorie zur Verfügung; davon abgeleitete wie der Monetarismus oder die mit mikroökonomischer Theorie ergänzte postkeynesianische Theorie werden hier nicht betrachtet, weil sie keine weiteren Erkenntnisse zu unserer Fragestellung anbieten. a. Der Neoliberalismus und die Staatsverschuldung. Zu Beginn der 80er Jahre schrieb der Sachverständigenrat: „Staatsdefizite absorbieren einen großen Teil der privaten Kapitalbildung und führen dazu, dass die Zinsen, …für privates Wachstum ungünstiger sind, als sie es sein müssten.“ Und: „Die Kosten von Staatsleistungen, gleichwohl ob durch Steuern oder Kredite finanziert, sind die durch sie verdrängte…private Güterversorgung.“[21] Hier ist der sog. crowding-out-effekt angesprochen. Die Verdrängung privater Investitionen durch öffentliche Kreditnachfrage erhöht die Zinsen, was wiederum private Investitionen verdrängt (crowding-out = verdrängen). Dies kann mit einer Grafik veranschaulicht werden, die auf dem Kreditmarkt sowohl die Nachfrage nach Krediten durch die Investoren als auch das Kreditangebot durch die Sparer als zinsabhängig sieht und daher die staatliche Nachfrage nach Krediten (=Staatsverschuldung) den dort gehandelten Preis, also den Zins, erhöht. Die Zusammenhänge auf Gütermärkten, auf denen steigende Nachfrage tendenziell den Marktpreis erhöht, werden auf den Kreditmarkt übertragen. Aus der Vielzahl der Gegenargumente soll hier nur auf wenige verwiesen werden.[22] Der crowding-out-effekt geht von Knappheit an Geldkapital aus; steigende Zinsen fungierten als Knappheitsindikator. In einer Rezession allerdings, in der mangels vorgenommener Investitionen Geldkapital gerade nicht nachfragewirksam verwendet wurde, kann durchaus auf diese brachliegenden Investitionsfonds zurückgegriffen werden, ohne dass die Zinsen knappheitsbedingt steigen. Auch ist der internationale Geldmarkt faktisch ein Weltmarkt, für den eine zusätzliche Kreditnachfrage einer nationalen Regierung keine Verknappung brächte. Im übrigen geht dieses Knappheitsargument nicht von einer Welt der stofflosen Buchgeldschöpfung des Bankensystems aus; von den Möglichkeiten des Rückgriffs auf ausländisches Geldkapital wird ebenso abgesehen. Diese zinstheoretische Konstruktion des crowding-out-effektes berücksichtigt auch nicht die Bedeutung einer Notenbankpolitik für das Zinsniveau. Schließlich ist Notenbankpolitik immer „Zinspolitik“, die regelmäßigen Spekulationen um „Zinsschritte“ sowohl der EZB als auch des FEB belegen dies. Auch ändern Geldmengenvariationen der Zentralbanken regelmäßig das Kreditangebot, so dass sich empirisch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang von Staatsdefiziten und Nominal- bzw. Realzinsen finden lassen.[23] Ein anderes Argument stellt grundsätzlich die Notwendigkeit staatlicher Nachfrageintervention in Frage. Der Neoliberalismus geht von einem Idealbild flexibler Reaktionsmöglichkeiten von Preisen, Löhnen und Zinsen aus, so dass sich tendenziell geräumte Güter-, Arbeits- und Kreditmärkte einstellen. Eine staatliche kreditfinanzierte Nachfragepolitik ist dann unbegründet, weil ein volkswirtschaftliches Angebot immer vollständig nachgefragt wird. Mit dem sog. Say`schen Theorem, welches der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 1977/78 wiederbelebt hat und damit die künftigen Regierungen „Kohl“, „Schröder“ und „Merkel“ aus der Verantwortung für eine konjunkturelle Nachfragepolitik enthob, werden unzureichende Entwicklungen von Produktion und Beschäftigung nur noch mit Defiziten auf der Angebotsseite (Inflexibilität, zu hoher Lohn, etc) erklärt und folglich therapiert.[24] Außerdem erwartet der Neoliberalismus durch eine Kredit- oder Steuerfinanzierung ein öffentliches Güterangebot, welches a priori eine falsche, weil nicht privat erstellte Güterproduktion darstellt. Das öffentliche Güterangebot ist aufgrund außerökonomischer Entscheidungen und nicht gemäß ökonomischer Preis- und Knappheitssignale zustande gekommen und daher gesamtgesellschaftlich wohlfahrtsmindernd, weil es ineffizienten Ressourcenverbrauch repräsentiert. b. Keynesianische Theorie Die keynesianische Theorie wurde historisch notwendig, als die neoliberale Theorie bzw. ihre ökonomische Fundierung als Neoklassik in der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 sowohl als erklärende als auch therapierende Theorie scheiterte.[25] Die keynesianische Theorie sieht bei unzureichender privater Nachfrage eine staatliche Ausgabenerhöhung vor, die im Krisenfall mit unzureichenden Staatseinnahmen durch Kredite finanziert wird. Unzureichende Staatseinnahmen können freilich auch dadurch entstehen, dass eine Regierung umfangreiche Steuerentlastungen der Privaten unternimmt und dann „überrascht“ wird von einer unelastischen Reaktion des Steuersystems auf sinkende Steuersätze. In beiden Fällen drängt sich die Notwendigkeit auf, durch Kreditaufnahme die Staatsdefizite zu kompensieren. Das verlangt einen Konsens, die Staatsausgaben nicht entsprechend zu senken, auch weil krisenbedingt ein bestimmtes Ausgabenniveau eher stabil bleibt. Zu denken ist hier an die krisenkompensierenden Ausgaben im Bereich der Arbeitslosenunterstützung u.ä. Dies ist Inhalt der sog. automatischen Stabilisatoren.[26] Während der Neoliberalismus die Staatsverschuldung eliminieren will, geht die keynesianische Theorie eher pragmatisch mit der Staatsverschuldung um und kennt selbst bei konservativer politischer Hegemonie über Staatsverschuldung finanzierte „rechtskeynesianische“ Rüstungs- und Beschäftigungsprogramme, wie beispielsweise zu Beginn der 80er Jahre in den USA unter dem Präsidenten Reagan. So ist nicht die Staatsverschuldung „an sich“ zu kritisieren, sondern die Entscheidung zu einer Theorie, mit der der Untersuchungsgegenstand „Staatsverschuldung“ beurteilt wird. c. Saldenbasierte Theorie der Staatsverschuldung Die anfangs vorgestellten saldentheoretischen Beziehungen zwischen Ersparnis, Investition und Außenhandelssaldo werden um die Staatsverschuldung ergänzt. Dazu wird die private um die staatliche Ersparnis ergänzt; ebenso werden die privaten Investitionen um Staatsausgaben ergänzt: Private Ersparnis + staatliche Ersparnis = private Investition + Staatsausgaben. Da die Ersparnis in Deutschland größer ist als die private Investition, sind folglich die Staatsausgaben größer als die Staatseinnahmen. Mithin hat der Staat eine negative Ersparnis. Dies ist schlicht die Kreditaufnahme. Wieder hilft eine realwirtschaftliche Betrachtung. Die Ersparnis repräsentiert Einkommen, welches in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstanden ist, aber als Ersparnis nicht nachfragewirksam verwendet wird. In gleichem Maße, wie „das Ausland“ nun diese Güter absorbieren kann – man denke an die sog. „Ventilfunktion“ des Exportes -, ist gleichermaßen im Inland eine zusätzliche Staatsnachfrage geeignet, durch Erwerb dieser Güter einen möglichen Absatzeinbruch der inländischen Unternehmen zu verhindern. Dies ist als keynesianische Krisenverhinderung durch aktive staatliche Ausgabenpolitik bekannt und nach dem Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft (BGBl.I 582, 8.Juni 1967) auch vorgesehen. Freilich muss diese Nachfrage finanziert werden. Reichen krisenbedingt oder aufgrund vorheriger Steuerentlastungen die laufenden Steuereinnahmen nicht aus, muss auf Kredite zurückgegriffen werden, also saldentechnisch der Überschuss der Ersparnis über die Investition vom Staat absorbiert werden. Damit ist die staatliche Verschuldung eine kompensatorische Güternachfrage, deren Ausbleiben einen künftigen Produktions- und Beschäftigungsrückgang implementieren würde. Die gesamtwirtschaftliche Saldengleichung, die nur dadurch sich dem unmittelbaren Nachvollzog entziehen könnte, wenn die jeweiligen Zahlenwerte durch eine willkürliche Periodenabgrenzung zunächst lückenhaft sein könnten (aber auch nur dadurch !), sieht unter Erweiterung des Außenhandelssaldos wie folgt aus: Die Ersparnis einer Volkswirtschaft S entspricht der Nettoinvestition I, dem Handelsbilanzsaldo HBS (Exp – Imp) und dem Haushaltsbudget BD des Staates. Ein positiver Budgetsaldo ist ein Überschuss der Staatsausgaben über die laufenden Steuereinnahmen, mithin in Höhe dieses Überschusses eine Kreditaufnahme. Ein positiver Außenhandelssaldo ist (netto) ein Exportüberschuss; mithin erfolgt ein Kapitalexport in dieser Höhe, um dem Ausland die Finanzierung der Importe zu ermöglichen.[27]Folgende Konstellationen sind zunächst abstrakt möglich: Der Zusammenhang zwischen Ersparnis, Investition, Staatsbudgetsaldo und Handelsbilanzsaldo Fälle S I HBS BD 1. 300 300 0 0 2. 300 200 100 0 3. 300 250 0 50 4. 300 150 50 100 Aus: R. Volkmann; Leicht lernen-Makroökonomie. Ventus-Verlag Kopenhagen 2006, S.23 ; auch unter: www. Studentensupport.de/makroökonomie/Volkmann (leicht umgestellte Spalten) Nr. 4 wäre für Deutschland zutreffend: Einer hohen Ersparnis von 300 stehen gemäß Untersuchungen der Bundesbank von 6/2007 unzureichende Investitionen von 150 gegenüber. Aber ein Teil des volkswirtschaftlichen Güterüberschusses wird in Höhe von 50 netto exportiert. Zusätzlich sorgt eine staatliche Kreditaufnahme von 100 dafür, dass ein weiterhin gegebenes Nachfragedefizit von 100 durch staatliche Nachfrage absorbiert wird. Wird auf letzteres verzichtet, etwa weil der Staat sein laufendes Haushaltsdefizit auf „Null“ bringen möchte, würde ein gesamtwirtschaftlich verbleibendes Nachfragedefizit von 100 ein Anlass sein, künftig weniger zu produzieren und folglich Produktion und Beschäftigung einzuschränken Die Fälle Nr.1 und 2 belegen, dass der Verzicht auf eine Neuverschuldung des Staates nur für den Fall zulässig sein sollte, dass die privaten Unternehmen ihrer lehrbuchhaften Verantwortung gesamtwirtschaftlich nachkommen, regelmäßig für einen überaus expansiven Investitionsprozess zu sorgen. Trifft dies nicht zu, muss sich wie unter Nr. 2 „das Ausland“ in Höhe von 100 verschulden, mithin netto importieren. Die Bundesbank geht also genau von dieser unter Nr. 2 aufgeführten Beziehung für Deutschland aus.[28] Sofern aber „das Ausland“ nicht ständig unzureichende Nachfrage in Deutschland kompensieren kann, ist folglich kreditfinanzierte Nachfrage des Staates erforderlich. Für Deutschland lauten die Zahlen (in Mrd €) von 1991-2004 (Jahresdurchschnitte):[29] S = I + Budgetsaldo + Außenhandelssaldo Exp-Imp 81,4 = - 27,8 + (-) 49,33 + (-) 4,3 Die Ersparnis von 81,4 Mrd € ist in Höhe von 27,8 Mrd € von den Unternehmen „nachgefragt“ worden als Investitionen. Der Staat hat in Höhe von 49,3 Mrd Kredite aufgenommen, um in dieser Höhe mehr Güter nachfragen zu können als es ihm aus laufenden Steuereinnahmen möglich war. Das Ausland hat die verbleibende Nachfragelücke in Höhe von 4,3 Mrd € geschlossen. Noch notweniger wird die Staatsverschuldung, wenn die Unternehmen ihre einbehaltenen Gewinne, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu den „Ersparnissen“ gerechnet werden, nur teilweise investieren. Dann wird die Ersparnis der Haushalte noch um jene der Unternehmen erhöht.[30] In diesem Fall haben die Unternehmen netto nicht zum Abtrag des Güterberges beigetragen, sondern diesen um die Differenz ihrer Ersparnisse zu ihren Nettoinvestitionen noch erhöht. Umso höher muss bei konstantem Außenhandelssaldo dann die jährliche Neuverschuldung des Staates ausfallen, um den privaten Güterüberschuss zu kompensieren. Für 2004 lauten die Zahlen (in Mrd €)[31]: Der privaten und Unternehmensersparnis S in Höhe von 152,6 steht ein Exportüberschuss von 72,5 gegenüber. Die jährliche Staatsverschuldung hat folglich 80,1 betragen. Wäre diese „auf Null“ reduziert worden, hätte sich ein Güterüberschuss (152,6 – 72,5) in Höhe von 80,1 ergeben, der nicht abgesetzt und folglich nächstes Jahr gar nicht erst erstellt worden wäre – mit rezessiven Konsequenzen für Produktion und Beschäftigung. 5. Thesen zur Staatsverschuldung - pragmatisch In der Förderalismusreformdiskussion II steht im Mittelpunkt die Frage, ob und in welchem Maße ein staatliches Kreditaufnahmeverbot oder zumindest eine explizite Beschränkung, etwa nach der sog. Schweizer Schuldenbremse, in die Länderverfassungen aufgenommen werden sollte.[32] Zu dieser populären Absicht muss auch die LINKE eine inhaltliche Position finden. Dafür dienen abschließend die folgenden Argumente: - Gegner der Staatsverschuldung argumentieren, dass der Abbau der Staatsverschuldung wieder fiskalpolitische Handlungsspielräume schaffe für künftige Aktivitäten. Dies überrascht, da die Vision eines künftig aktiven und gestaltenden Staates gerade nicht dort verortet ist, wo das Streben nach Abbau der Staatsverschuldung mit dem Plädoyer der Entstaatlichung einhergeht. - Ist Staatsverschuldung eine Umverteilung zugunsten der „Besserverdienenden“ ? Dazu drei Anmerkungen: - Staatsverschuldung repräsentiert einen Teil der öffentlichen Güterproduktion, der aus laufenden Steuereinnahmen nicht erbracht werden könnte. Sofern die öffentliche Güterproduktion bevorzugt „den Armen“ zugute käme, etwa als „zweite Lohntüte“, da „Besserverdienende“ sich viele Leistungen privat kaufen könnten, wäre die reale Gegenbuchung eine Begünstigung der „Armen“. - Das Argument der Begünstigung der „Besserverdienenden“ muss insofern relativiert werden, da primär nur ca. ein vH der Staatsverschuldung unmittelbar bei privaten Haushalten untergebracht wird. - Staatsverschuldung wird auch bei privaten und öffentlichen Versicherungen untergebracht, deren Ausschüttungen als z.B. Bauspardarlehen, Lebensversicherungen oder Renten bei Fälligkeit viele gesellschaftliche Schichten begünstigt. - Staatsverschuldung ist eine Möglichkeit, ausländisches Geld bzw. „überschüssige Liquidität“ für inländische Verwendungszwecke zu mobilisieren. Sofern hier der Staat keine Kreditnachfrage entfaltet, entstehen u.a. hedge fonds, private equity-fonds und real-estate-investment-trusts (reits). Deren Aufkommen ist auf drei Ursachen zurückzuführen: dem Vordringen kapitalbasierter Altersversorgung, den Umverteilungsprozessen zugunsten der Profiteinkommen und eben auch dem Abbau staatlicher Verschuldung.[33] - Staatsverschuldung ermöglicht eine „gerechte“ intergenerative Lastenverteilung. Künftige Generationen, von denen eine bereits gegenwärtig in den Kindergärten, Schulen etc anzutreffen ist, haben Nutzen aus heute erstellten Leistungen per Kredit. Folglich zahlen sie später während der Nutzung auch ihren Beitrag in Form von Zinsen und Tilgungen der Staatsschuld. Warum sollte die heutige Generation allein zuständig sein für die Finanzierung ? Der Beitrag aller Generationen für die Nutzung öffentlicher Infrastruktur ist in der Finanzwissenschaft als „pay-as you-use- Prinzip“ bekannt. - Die künftige Generation erbt nicht nur die Schulden, sondern auch das Vermögen; also die reale Infrastruktur und die verbrieften Forderungen an den Staat. - Die keynesianische Theorie zeigt auf, dass die moderne Krise im Kapitalismus durch unzureichende Verwendung des volkswirtschaftlichen Überschusses zu begreifen ist: produzierte Werte werden nicht realisiert. Hier wird es zur staatlichen Aufgabe, als „demand management“ private Einkommensteile, die als „Ersparnis“ nicht nachfragewirksam verwendet werden, als Kredite aufzunehmen und sie für staatliche Güternachfrage zu mobilisieren, mithin also der Gütersphäre zuzuführen. Wird auf dieses nachfragestützende Instrument verzichtet, müssen die Ersparnisse von Fonds wie in der Gegenwart aufgenommen werden mit eher spekulativer Ausrichtung, weil ihnen oft die Nähe zu den Gütermärkten fehlt. - Staatsverschuldung ist ein Angebot für Geldanleger, ihr Geld nicht für private Luxusgüter, sondern für damit sinnvollerweise finanzierte öffentliche Güter „umzuwidmen“. - Da Staatsverschuldung ein Instrument zur Kompensation unzureichender privater Investition ist, bliebe alternativ zwingend das Ausland zu regelmäßigem Import („unsere“ Exporte) überschüssiger inländischer Güter verpflichtet. Hier gerät die inländische Konjunktur in eine labile Abhängigkeit von ausländischer Nachfrage, deren Determinanten nicht vom Inland bestimmbar sind. Schließlich beinhaltet der Zwang zu einer regelmäßig funktionierenden Exportierbarkeit überschüssiger deutscher Güter eine bewusst aggressive Außenhandelspolitik, da sie gleichzeitig im Ausland zur Vernichtung von Produktion und Beschäftigung führt. - Neoliberale Politik strebt eine ungleiche Gesellschaft an, weil nur so aus Ungleichheit auch Sparfähigkeit der „Besserverdienenden“ hergestellt werden kann. Deren „Ersparnis“ ist in der neoklassischen Theorie Voraussetzung für „Investition“. Staatsverschuldung engt diesen Umverteilungsprozess ein, weil sie die Ersparnis der Besserverdienenden in eine politisch bestimmte Güterproduktion umsetzt, dessen Entscheidungsprozeß eine demokratische Abstimmung verlangt. - Wenn Staatsverschuldung für Folgen unzureichender privater Nachfrage steht, kann sie in diesem Zusammenhang nur vermieden werden, wenn die private Nachfrage wieder gestärkt wird. So kann die Forderung nach Abbau der Staatsverschuldung sinnvoll verwendet werden für eine Forderung, alternativ die private lohnfinanzierte Nachfrage zu stärken. Falsch wäre es dabei, die Unternehmen steuerlich zu stärken, da diese- siehe oben zur Analyse der Bundesbank – bei unzureichenden Absatzperspektiven auch ihren investiven Kapazitätsaufbau nur ungenügend vornehmen. - Abschließend ein statistisches Argument: Wenn der Staat neue Schulden in prozentuall geringerem Maße aufnimmt, wie das nominale BIP wächst, wird die Schuldenquote als Bruch aus beiden Größen in einer wachsenden Wirtschaft sinken. 6. Politisches Fazit Die mit Staatsverschuldung verbundenen Zins- und Tilgungsverpflichtungen sind regelmäßig bekannt und bedürfen hier keiner zusätzlichen Erwähnung. Daraus aber schon zu folgern, dass deren Abbau uneingeschränkt eine empfehlenswerte Politik darstellt, sollte mit den angeführten Argumenten widersprochen werden. Dabei ist ein zentraler Kritikpunkt des Europäischen Einigungsprozesses, eine bereits vereinheitlichte Geldpolitik des Europäischen Zentralbanksystems zu installieren, obwohl die realwirtschaftlichen Bedingungen in den Volkswirtschaften Europas noch erheblich differieren. So ist nur noch die nationale Finanzpolitik der jeweiligen Länder in der Lage, autonome Gestaltungsspielräume für angestrebte Entwicklungsprozesse von Produktion und Beschäftigung zu nutzen. Dabei ist der Inhalt dieser Politik in demokratischen Diskussionen zu bestimmen; denn die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank entzieht sich jeglicher demokratischer Mitwirkung. Wird dagegen dem populären Ruf nach Abbau der Staatsverschuldung gefolgt, begibt man sich um mögliche Chancen der Produktion öffentlicher Güter, der Diskussion um „öffentlich (geförderte) Beschäftigung“ und hat sich einem politisch wichtigen Schritt entzogen: der Klärung des eigenen Verständnisses vom Staat, seinen Aufgaben und mithin seinen Ausgaben. Zusammenfassung Die „Staatsverschuldung“ als eine Finanzierungsmöglichkeit alternativer wirtschaftspolitischer Konzepte wird von der konservativen Politik abgelehnt, aber auch von „der Linken“ weitgehend vermieden. Dieser Beitrag will aufzeigen, welche Gründe weiterhin für Staatsverschuldung zur Finanzierung „öffentlicher Güter“ sprechen. So kann der volkswirtschaftliche Überschuss für einen sozialorientierten Entwicklungsweg genutzt werden. Staatsverschuldung hilft ebenso, eine aggressive Außenwirtschaftspolitik zu vermeiden. Der Beitrag setzt sich darüber hinaus mit einer Vielzahl weiterer Argumente zur Staatsverschuldung auseinander. Dies ist notwenig, um zu Fragen des Staatsverständnisses, der öffentlichen Güterproduktion und Beschäftigung eine fundierte Position zu gewinnen. Rainer Volkmann [1] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007, S. 17-28 [2] Ebenda S. 17 [3] Ebenda S. 18 [4] Ebenda S. 18 [5] Es ist daran zu erinnern, dass Kapitalgesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit darstellen und daher die einbehaltenen Gewinne ihnen „ad personam“ zugeordnet werden als unternehmerische Ersparnis. Von Steuerzahlungen kann hier abstrahiert werden, da sie bereits „vorher“ erfolgt sind. [6] Die Notwendigkeit der Periodenabgrenzung –meist ein Jahr – verschleiert eine wichtige Information, dass deutsche Exporte „letztlich“ in inländischer Währung zu bezahlen sind; und der Kapitalexport ist die Möglichkeit, den Abnehmerländern deutscher Exporte die notwendigen Fremdforderungen zur Verfügung zu stellen. Dass die Kapitalexporteure ihrerseits andere Interessen-etwa die zinsbringende Geldanlage im Ausland – haben, ändert nichts an der Tatsache, etwa ausländischen Importeuren am Devisenmarkt Euro anzubieten, um inländische Währung zu erhalten. [7] Die Produktion des Sozialproduktes verlangt einen bestimmten Einsatz importierter Vorprodukte (Energie etc). Diese werden erfasst und insgesamt bei den Exporten abgezogen, um „für sich“ den Außenbeitrag zu erhalten [8] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Staatsverschuldung wirksam begrenzen. Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie 2007; Ziff. 266. Im Folgenden: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung [9] Ebenda Ziff. 265 [10] Ebenda Ziff 266 [11] Ebenda Ziff. 263, Tab. 17 [12] Bulletin Nr. 111 v. 12.09.1975 [13] R. Volkmann; Beschäftigungspolitik !a.a.O. S. 26, siehe auch S. 31 ff zur Parallelität von Beschäftigungspolitik und Haushaltskonsolidierung; auch: H.B Leibninger./ B Rohwer; Die Fiskalpolitik in den Jahren 1974 bis 1979: Ineffiziente Instrumente oder unzulängliche Anwendung. In: Konjunkturpolitik H.5. Berlin 1981, S. 261 ff [14] So werden in Art 87, Abs.2 (b) staatliche Beihilfen „gleich welcher Art“ für Naturkatastrophen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Auch die konjunkturbedingten Kreditaufnahmen durch die sog. automatischen Stabilisatoren werden regelmäßig akzeptiert. Dazu: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 62 ff. [15] Sachverständigenrat; Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 135 ff. Insbesondere die Ausführungen zur „Schweizer Schuldenschranke“ belegen, dass staatliche Kreditaufnahme in der Marktwirtschaft nicht prinzipiell auszuschließen ist. [16] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 10/07; stat. Anhang Tab. 14, S. 60* [17] Hier ist der weiter unten erläuterte sog. „crowding-out-effekt“ zu nennen, der aus der staatlichen Kreditnachfrage auf dem inländischen Kreditmarkt Zinssteigerungen ableitet, die wiederum private Kreditnachfrage zurückdrängen. Dieser Effekt dürfte umso weniger eintreten, je größer der betrachtete Kreditmarkt ist.Vgl. dazu R. Volkmann; Beschäftigungspolitik !Opladen 2001, S. 45 ff [18] Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 93 ff [19] Ebenda Ziff. 107 ff [20] Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 33 [21] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Jahresgutachten 1981/82, Ziff. 299 [22] Eine umfangreichere Kritik findet sich in: R. Volkmann; Reschäftigungspolitik! a.a.O. S. 46 ff [23] R. Hickel, J. Priewe; Ineffiziente Instrumente oder unzureichende Anwendung ? Die Finanzpolitik von 1974 -1984 auf dem Prüfstand: Argumente für ein Beschäftigungsprogramm; in: PIW-Studien Nr. 3; PIW-Progress-Institut für Wirtschaftsforschung. Bremen 1985 [24] [24] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Jahresgutachten 1977/78, Ziff. 241. Das sog. Saysche Theorem ( nach Jean Baptiste Say, 1767-1832, nachklassischer bürgerlicher Ökonom) ist eine tautologische Beschreibung der Naturaltauschwirtschaft, in der jedes realisierte Angebot zwingend eine Nachfrage gefunden hat. Mit der Einführung der Geldwirtschaft ist dieser Gütertausch nicht mehr erforderlich, da Ware gegen Geld getauscht wird und der Gütererwerb mit Geld verzögert werden kann. Gleichwohl hat der Sachverständigenrat mit dem Say schen Theorem erreichen wollen, dass Ursachen für Wirtschaftskrisen nicht mehr auf der Nachfrageseite zu bestimmen sind. Damit wurde „das Zeitalter“ der Angebotspolitik und der Abschied von der Nachfragesteuerung vorbereitet. [25] Zur historischen Einordnung und Differenzierung von Neoliberalismus und Neoklassik C. Butterwege, B. Lösch, R. Ptak; Kritik des Neoliberalismus. Wiesbaden 2007, S. 26 ff [26] Darunter sind antizyklische Effekte im Steuer- und Arbeitslosenversicherungssystem zu verstehen, die in der Hochkonjunktur und progressivem Steuersatzsystem Nachfrage abschöpfen; in der Krise durch Zahlungen an Arbeitslose eine konjunkturelle Mindestnachfrage garantieren. [27] Es wird von Nettoinvestition gesprochen, da die Ersatzinvestitionen (zusammen mit den Nettoinvestitionen ergeben sie die Bruttoinvestitionen) bereits durch die Abschreibungen finanziert wurden. Um diese, obwohl sie eine Ersparnisgröße darstellen, wurden die Ersparnisse S bereits korrigiert. [28] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007; S. 17 f [29] Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik; Memorandum 2006: Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung. Köln 2006, S. 65. Im Folgenden: Memorandum 2006 [30] Deutsche Bundesbank; Monatsbericht 6/2007; S. 17 f [31] Memorandum 2006, S. 65 [32] Zur „Schweizer Schuldenbremse“: Sachverständigenrat: Staatsverschuldung…a.a.O. Ziff. 150 ff [33] J. Huffschmidt; Das Diktat der Finanzmärkte; in: Blätter für deutsche und internationale Politik. H.11/07; S. 1335 f
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Oktober 2020
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